Von Jörg Allmeroth
Herr Federer, knapp ein Monat ist seit Ihrer Halbfinal-Niederlage bei den Australian Open gegen Novak Djokovic vergangen. Viel war danach von einer Wachablösung im Herrentennis die Rede, von einem Umbruch, vom Ende der Federer- und Nadal-Dominanz.
Roger Federer: Was für ein Umbruch soll das sein? Novak Djokovic, der Sieger, ist ein respektierter, anerkannter Topprofi. Und das seit einigen Jahren. Es gibt immer wieder Wechselspiele unter den drei, vier Spitzenleuten, aber es gibt doch nichts, was man als Zeitenwende bezeichnen könnte. Man kann nichts herbeischreiben, was nicht existiert. Und wir haben im Moment auch keinen Wunderspieler, der aus dem Nichts daherkommt und vier, fünf Topspieler in Serie schlägt und alles umwälzt.
In der Berichterstattung übers Herrentennis nehmen die ersten Vier der Rangliste fast den gesamten Platz ein. Der Rest wird fast nur noch als Staffage betrachtet.
Federer: Es gibt aber eine ganze Menge Bewegung hinter dieser Topgruppe, interessante Spieler, interessante Charaktere. Nur darf man auch von den neuen Gesichtern nicht erwarten, dass sie blitzartig nach vorne preschen. Sie brauchen alle Zeit, mehr Zeit sogar noch als früher. Denn Tennis ist heute zehneinhalb Monate lang ein Dauerwettkampf auf allerhöchstem Niveau, ohne Ruhepausen, ohne leichte Spiele, ohne Entspannungsmomente. Da kann man einfach keine Wunderdinge von den jungen Spielern erwarten.
Sowohl im Damen- wie im Herrentennis geht der Trend weg von den jugendlichen Himmelsstürmern, die komplett die Hackordnung durcheinanderwirbeln und schon im Teenageralter Grand Slams gewinnen. Mit Kim Clijsters war vorübergehend sogar eine Mutter wieder die Nummer 1.
Federer: In der Tat ist das ganze Tennis konkurrenzstärker und athletischer geworden. Um nach oben zu kommen, braucht man einen viel längeren Atem. Es gibt wirklich ein paar neue Spieler, die vielversprechend sind, Milos Raonic aus Kanada etwa, aber sie haben noch einen steinigen Weg vor sich. Man kann sie auch nicht nach drei starken Wochen beurteilen.
Sie werden in diesem Jahr 30. Wie sehr ist das ein Einschnitt für Sie – und wie hat sich das Tennis und das Leben auf der Tour im Verlauf der Karriere geändert?
Federer: Ganz ehrlich: Ich fühle mich überhaupt nicht wie ein bald 30-jähriger. Die Jahre vergehen extrem schnell in diesem Geschäft. Du merkst gar nicht, wie die Zeit wegläuft. Ich habe allerdings auch das Glück, erfolgreich zu sein. Der Erfolg erleichtert dir eine Menge. Die ersten Jahre auf der Tour waren ja viel härter, die Selbstzweifel, ob man wirklicht gut genug ist. Die Kritik der Medien, die du als junger Spieler auch nicht so einfach wegsteckst. Dagegen lebe ich heute wie in einem Traum.
Stecken Sie Niederlagen heute besser weg als früher?
Federer: Ich verliere nie gern. Sonst wäre ich nicht so weit gekommen in meiner Karriere. Aber ich kann die Ursachen besser und rationaler analysieren als am Anfang. Niederlagen gehören dazu. Sie sind aber nicht der Untergang der Welt. Früher war ich auch hitzköpfig, wenn es nicht lief. Warf die Schläger durch die Gegend. Dann kam der große Sprung nach vorne, als ich meine innere Ruhe fand – eben auch durch die ersten großen Erfolge.
In Australien wirkten Sie nicht wie am Boden zerstört, als Sie gegen Djokovic verloren.
Federer: Weil ich trotz dieses Scheiterns das Gefühl hatte und habe, insgesamt auf dem richtigen Weg zu sein. Und weil ich körperlich topfit war, einfach gut in Schuß. Es gab schon Turniere, wo ich völlig erschöpft, ausgezehrt und müde weggefahren bin. Wo ich nach einer Niederlage dachte: Oh je, wie wird das jetzt weitergehen. Aber das war in Melbourne komplett anders. Ich bin bereit, in diesem Jahr ganz große Ziele anzuvisieren. Große Turniere zu gewinnen und auch wieder die Nummer 1 zu werden.
Im Moment halten Sie aber erstmals seit gut sieben Jahren keinen Grand Slam-Titel mehr in den Händen.
Federer: Das ist nicht schön, aber wenn man schon 16 Grand Slams gewonnen hat, kann man´s auch gerade noch verkraften (lacht). Nein, ich verfalle deswegen nicht in großen Trübsinn. Und es wäre auch ein Fehler, mich nun irgendwie abzuschreiben. Das hat noch nie funktioniert in den letzten Jahren.
Was ist für Sie jetzt die größte Herausforderung als Tennisspieler?
Federer: Gesund zu bleiben. Fit zu sein. Ich habe ja keine Unsicherheiten, was ich kann oder nicht kann. Ich weiß, dass ich alles erreichen kann, wenn ich körperlich dazu in der Lage bin. Ich bin heute aber besser austrainiert als in jungen Jahren, weiß, was ich wie tun muss. Und ich kenne meine Limits, weiß, wie ich mir Spiele, das Training und die ganze Saison einteilen muss. Als junger, unerfahrener Spieler neigt man dazu, schnell seine Grenzen zu überschreiten. Dann hast du für den Augenblick Erfolg, aber danach große Probleme.
Gibt es Momente, wo Sie gerade jetzt als Familienvater denken: Muss diese Reise schon wieder sein, muss ich nun schon wieder die Koffer packen für irgendein Turnier?
Federer: Nein, eigentlich nicht. Ich hab´ immer noch Spaß daran, durch die Welt zu reisen. Und wir haben das seit der Vergrößerung der Familie auch immer gut gemanagt, so gut, dass es eigentlich nie eine Belastung gewesen ist. Natürlich sind wir in einer privilegierten Situation, das ist mir bewußt. Wir freuen uns alle, dass wir trotz dieses turbulenten Lebens soviel gemeinsame Zeit verbringen können.
Haben Sie noch Lampenfieber, wenn Sie in ein Turnier gehen, in einen Grand Slam oder auch in ein Turnier wie das bevorstehende in ihrer zweiten Heimat Dubai?
Federer: Natürlich ist man aufgeregt. Immer. Vor jedem Turnierstart, vor jedem großen Match. Wenn einem das gleichgültig wäre, müsste man aufhören. Marschiert man in ein volles Stadion, ist das immer noch ein unheimlich prickelndes Gefühl. So wie am ersten Tag als Profi.
Sie haben noch so viele Verpflichtungen neben den Spielen auf dem Centre Court. Interviews für Zeitungen, Radio, Fernsehen. PR-Termine, Sponsorentermine, Rote-Teppiche-Auftritte. Wie schaffen Sie es da, stets ein freundliches Gesicht zu machen?
Federer: Zum Glück ist mir das alles nicht lästig. Anfangs fühlte ich mich unwohl, wenn die Scheinwerfer auf mich gerichtet waren. Da wußte ich auch bei mancher Siegerehrung gar nicht, was ich sagen sollte. Aber ich empfinde das als normalen Teil meines Berufs, und ich habe auch gelernt, das in schlechten Momenten professionell abzuwickeln. Manchmal bist du geschockt und erschüttert, was dir da für eine Frage gestellt wird. Aber ich schaffe es praktisch immer, selbst dann noch eine diplomatische Antwort zu geben.
Haben Sie eine feste Planung, wie lang Ihre Karriere dauern soll?
Federer: Nein, die gibt es nicht. Ich denke aber weit über Olympias 2012 hinaus. Das ist natürlich ein wichtiger Meilenstein, die Spiele in London. Aber ich glaube, dass ich danach auch noch sehr, sehr gute Jahre haben werde