Wie werde ich eine Personality?
Barbara Schöneberger funktioniert als Marke so gut, dass sie Kartoffelsalat verkaufen kann. Sarah Engels funktioniert als Marke so gut, dass Ihr 1,8 Millionen Menschen auf Instagram Folgen. Und was ist mit unserem Autor?
Text: Hannes M. Kneissler
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Ich trage einen Namen mit coolem Mittel-Initial, schreibe Artikel und Bücher und habe einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Trotzdem bin ich keine Marke. Zumindest keine von irgendeiner Bedeutung außerhalb meiner Familie, meines Freundeskreises und meines Berufes. Ich habe gerade mal 500 Follower auf Instagram und 1112 Freunde auf Facebook. Die sind noch eine Spätfolge aus der Zeit, als ich mal im Fernsehen war. Damals hätte ich es fast geschafft: Meine Anhängerschaft wuchs mit jedem Auftritt, und ich war knapp davor, für viel Geld irgendeinen Pellkartoffelsalat aus der Plastikdose zu essen und dabei zu rufen, wie mich das anmacht. Doch dann schnappte sich Barbara Schöneberger diesen Job, und die ist wirklich eine Marke. Ihr Marktwert steigt ständig, von hohem Niveau auf ein noch höheres. Meiner dagegen schmilzt dahin wie die Zahl meiner „Freunde“ auf Facebook.
1. Was für ein Typ bin ich?
Vielleicht hätte ich wie die Schöneberger einen Manager anheuern sollen. Alexander Elbertzhagen von der Kick-Media AG zum Beispiel. Der hat sie groß gemacht, sagt er und ihr unter anderem den Werbejob für den Kartoffelsalat besorgt.
Jetzt sitze ich bei Elbertzhagen in seinem Kölner Büro. Es gibt Kaffee, Tee und Kekse, und niemand stört uns, die meisten der 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind im Home Office. Elbertzhagen ist ein hervorragender Gesprächspartner für die Frage, wie man aus Menschen Marken macht. Bei ihm sind neben Barbara Schöneberger noch 44 weitere Promis unter Vertrag – von Michelle Hunziker über Sandra Maischberger bis zum Sternekoch Tim Raue. Außerdem hat er etwa 30 Creator im Portfolio, so nennt man neuerdings Influencer. Am liebsten scheint ihm unter diesen die Ex-DSDS-Kandidatin Sarah Engels zu sein, die zwischendurch heiratsbedingt Lombardi hieß und jetzt scheidungsbedingt zu ihrem alten Namen zurückkehrte.
Mit Elbertzhagens Hilfe will ich nicht nur rauskriegen, wie man eine Marke wird, sondern auch, wie unterschiedlich klassische Personalitys (Schöneberger) und Social-Media-Personalitys (Engels) performen.
Barbara Schöneberger, 47, ist nicht der beste Umsatzbringer im klassischen Geschäft. Da liegt Frank Rosin vorn, der mit „Rosins Restaurant“ fast jede Woche bei Kabel Eins auf Sendung ist. Das bringt richtig Kohle. Schöneberger moderiert zwar immer wieder die NDR Talkshow und ab April 2022 auch „Verstehen Sie Spaß?“. Vor allem aber führt sie durch Veranstaltungen. Firmen-Events, TV-Events, Charity-Events – die Schöneberger macht alles, angeblich ab 30 000 Euro. Außerdem hat sie eine Zeitschrift, die ihren Namen trägt, mit mehr als 600 000 Leserinnen und Lesern. Da kommt schnell ein Jahresumsatz von knapp vier Millionen Euro zusammen. Die Zahl muss man schätzen und aus verschiedenen nicht erfolgten Dementis von Elbertzhagen errechnen, weil Promi-Manager niemals echte Zahlen nennen.
Sarah Engels, 29, kommt beim Jahresumsatz nur auf schätzungsweise die Hälfte. Aber sonst schlägt sie Schöneberger in fast allen Disziplinen um Längen. Auf Instagram hat sie 1,8 Millionen Follower (Schöneberger: 664 000), auf Facebook 1,2 Millionen Freunde (Schöneberger: 257 000), auf Tiktok 676 000 Follower und auf Youtube 58 700 Abonnenten mit bis zu 8,3 Millionen Aufrufen pro Video. Schöneberger ist weder auf Tiktok noch auf Youtube.
2. Das passende Medium
Aber vielleicht braucht sie das gar nicht. Ihre Zielgruppe ist über 40, und die erreicht man immer noch am besten über die traditionellen Medien Fernsehen und Hörfunk. Und da ist sie ausreichend präsent, unter anderem mit ihrem Digital-Sender Barbaradio. Die junge Engels hingegen würde dort nach Meinung von Elbertzhagen überhaupt nicht reüssieren. „Die brauche ich nicht ins ZDF zu bringen oder einen Gastauftritt im „Tatort“ für sie zu organisieren“, sagt er. „Das wäre nur als Gag geeignet. Aber für Gags arbeiten wir ja nicht.“
Elbertzhagen arbeitet daran, aus Menschen Marken zu machen. Da geht es nicht um Gags, sondern um Geld, Brand-Strategien, Kapitalrentabilität, Gewinnmaximierung. Wie vermarktet man ein Produkt am besten, das zwei Beine, ein Herz und Verstand hat? Das ist etwas ganz anderes, als einen leblosen Gegenstand in die Regale zu bringen – und viel riskanter. Menschen haben Launen, treffen Fehlentscheidungen, treten in Fettnäpfchen, hinterfragen, suchen nach dem Sinn und haben womöglich irgendwann keinen Bock mehr.
Grundsätzlich ist jeder Mensch eine Marke, die meisten allerdings wie ich eine kleine. Unter Marke versteht man, kurz gesagt, die Summe aller Vorstellungen, die Kunden mit einem Namen verbinden oder verbinden sollen. In meinem Leben ist schon die Zahl der potenziellen „Kundschaft“ (Familie, Freunde, Geschäftspartner) so gering, dass selbst dann, wenn sie alle sehr viele Vorstellungen von der Marke Kneissler hätten, die Gesamtsumme peinlich klein wäre. Wird schwer, aus mir ein Kartoffelsalat-Testimonial zu machen.
Dazu kommt, dass ich es gar nicht so unbedingt will, die Schöneberger aber schon. Als Elbertzhagen sie vor mehr als 25 Jahren auf einer Pressekonferenz kennenlernte, war sie intelligent, lustig, schlagfertig und scharf darauf, vor großem Publikum aufzutreten. Für Leute wie Elbertzhagen ist das ein ungeschliffener Diamant. Zur Erstbearbeitung brachte er sie in die „Bube, Dame, Hörig“-Show im eher marginalen Sat1-Vormittagsprogramm, wo sie klaglos Karten an der Spielwand umdrehte. Später war sie bei der Morgen-Show „Weck Up“ (ebenfalls Sat1), bevor sie eine eigene Show beim ZDF bekam. Immerhin 17 Folgen lang. Seitdem war sie immer irgendwie da, meist als Gast bei Harald Schmidt, Thomas Gottschalk, Hinz und Kunz. „Ich werde gern als Gast eingeladen“, hat Schöneberger mal in einem Interview gesagt, „da gehst du hin, ziehst dich um, gehst rein, brauchst dich nicht vorbereiten. Und das reicht, um außerhalb des Fernsehens ausgelastet zu sein mit Jobs.“
3. Simples Produkt, simple Vermarktung
Das klingt wie unterkomplexes Marketing. Und irgendwie ist es das auch. Je simpler das Produkt, desto einfacher sollte die Vermarktung sein. Barbara Schöneberger ist der Prototyp der patenten deutschen Frau, geboostert mit einem Extraschuss Fröhlichkeit und Mutterwitz. Das passt zu verzehrfertigem Kartoffelsalat.
Ein übler Fehler menschlicher Marken ist es, dass sie sich gern neu erfinden. Das ist ähnlich kontraproduktiv, wie wenn Homann plötzlich die Rezeptur des Kartoffelsalates verändern würde. Die alten Kunden wären im besten Fall unangenehm überrascht, im schlechtesten empört – und ob man für das neue Rezept auch neue Abnehmer fände, ist keineswegs sicher.
Bei Schöneberger gab es bislang keine solchen Tendenzen. Sie bleibt als Entertainerin im TV und als Testimonial für Lebensmittel, Tapeten, Koffer und bald auch Versicherungen in der Werbung. Damit kann sie alt werden.
Ganz anders ist es bei Sarah Engels. Sie wurde bekannt, weil sie 2011 an Dieter Bohlens „Deutschland sucht den Superstar“-Show (DSDS) teilnahm, eine Beziehung mit dem Mitkandidaten Pietro Lombardi begann, ihn heiratete, seinen Namen annahm, Mutter wurde, um sich danach von Lombardi zu trennen und ihren Namen wieder in Engels zu ändern.
Ein schwieriger Fall. Als Elbertzhagen ihr Management vor fünf Jahren übernahm, waren alle Verträge gekündigt, darunter die mit Universal Music und mit RTL II, das monatelang eine Doku-Soap über das Paar ausgestrahlt hatte. Der Manager fand bei Engels wenig Werthaltiges vor – mit Ausnahme ihrer Stimme, und die reichte ihm als ehemaligem Konzert-Impresario. Zudem hatte Engels eine siebenstellige Fanbase auf Instagram und genug Aufrufe ihrer Musikvideos auf Youtube, um überleben zu können.
Elbertzhagen beschaffte ihr neue Lieder sowie Konzerte und organisierte TV-Auftritte, unter anderem bei „Let’s Dance“. Er glaubt, dass lineares TV für die Reichweite noch immer unschlagbar ist. Deshalb bringt er seine Mandantinnen ins Fernsehen, ob als Kartendreherin bei Sat1 oder Amateurtänzerin bei RTL. Hauptsache, viele gucken dabei zu und werden zu Freunden oder Followerinnen in den sozialen Medien. Elbertzhagens Klienten haben eine Hybrid-Personality: noch halb verhaftet in der alten Welt des Fernsehens und gleichzeitig schon halb engagiert in der neuen Welt von Instagram & Co.
4. Essenziell: Glaubwürdigkeit
Die neun wertvollsten Influencerinnen und der eine männliche Influencer in den deutschen Top Ten sind einen Schritt weiter: Sie haben klassisches Fernsehen nicht mehr nötig. Die Fitness-Bloggerin Pamela Reif hat 8,3 Millionen Follower auf Instagram, die Fashion-Creatorinnen Leonie Hanne und Caro Daur kommen auf 4 beziehungsweise 3,4 Millionen. Viele ältere Fernsehzuschauer haben ihre Namen wohl noch nie gehört. Das Leben dieser Promis findet anderswo statt: in den unbegrenzten Weiten des Internets. Und da werden sie immer mehr wert.
Die Marketing-Agentur Batten & Company hat deren Marktwert berechnet: Zuerst ermittelte sie Follower und die Engagement Rate (die Zahl der Interaktionen, für die ihre Inhalte in den sozialen Medien sorgen), dann schätzte sie den Umsatz und führte Marktforschung sowie Experteninterviews durch, in denen unter anderem Markenstärke und Authentizität erfragt wurden. Daraus ermittelte Batten die Summe, die man bräuchte, um die Marke zu kaufen. Sie liegt bei den zehn wertvollsten Influencern Deutschlands zwischen 3,6 und 10,9 Millionen Euro. Noch interessanter als das Preisschild ist, was die Batten-Leute sonst noch herausgefunden haben:
1. Wer die Top Ten erreicht hat, ist seit durchschnittlich 9 Jahren im Geschäft.
2. Was hilft, ist ein klarer Kern wie in der klassischen Markenführung (z. B. Beauty, Lifestyle oder Comedy).
3. Der Markenauftritt verlangt eine wiedererkennbare Ästhetik.
4. Am wichtigsten ist der Eindruck von Authentizität.
5. Im Moment ist Instagram für Influencer noch das Leitmedium, aber Tiktok holt auf.
Zu Barbara Schöneberger können die Batten-Leute nichts sagen. Sie ist zu unbedeutend in der Welt der sozialen Medien. Zu Sarah Engels gibt es auch nicht viel – außer der allgemeinen Anmerkung: „Zu viele oder zu trashige Kooperationen können sich negativ auf das Image auswirken“, so Cornelia Großmann von der Agentur. Dabei ist Trash doch geradezu das Markenzeichen von Engels: Dieter Bohlen, RTL II, öffentliche Scheidung mit Rosenkrieg – das macht sie authentisch.
5. Die richtige Nische
Wie macht man also aus sich eine Marke? Elbertzhagen sagt, es brauche Talent, Vision, Disziplin. Und möglichst ein Management, das dabei hilft. Barbara Schöneberger hat, soweit er sich erinnern kann, nie einen Auftritt wegen Krankheit abgesagt. Sarah Engels hat trotz Rückschlägen und Shitstorms nie aufgegeben. Man muss sich also anstrengen und darf nicht allzu sensibel sein.
Könnte ich theoretisch auch. Aber noch ist die Frage nicht geklärt, ob ich zur großen Marke tauge. Autoren ziehen auf Instagram nichts vom Tisch. Gibt auch zu viele davon, sagt Elbertzhagen. Die Wachstumsmärkte sind Beauty, Fashion, Fitness, Reisen. Da sind die besten Plätze schon belegt. Ich müsste mir eine Nische suchen und authentisch wirken. Ist Glatze eigentlich noch „in“? Ich habe eine, vielleicht kann man daraus was machen?
Elbertzhagen lächelt freundlich, bietet mir noch einen Keks an und sagt, er habe jetzt einen Anschlusstermin. Höflich begleitet er mich zur Tür. Dann fällt sie zu, ich stehe draußen. Ich checke schnell auf dem Handy mein Instagram-Profil. 494 Follower. Sechs weniger als vorher! Ich muss mich dringend um meinen Markenwert kümmern. ---
Die Marketing-Agentur Batten & Company hat den Marktwert der wichtigsten deutschen Influencerinnen und Influencer berechnet. Unter den Top Ten ist nur ein Mann.