War paar Tage unterwegs und hab nur sporadisch reingeschaut, deswegen jetzt erst die Antwort.
Um es vielleicht einfacher zu erklären, die klassische Musik, die wir als solches heute verstehen, war ja in der Zeit, in der sie entstand gewissermaßen das, was wir heute unter Pop verstehen. Damals war es üblich, auch Eigenkompositionen selbst aufzuführen, ja galt man sogar erst dann als anerkannter Virtuose auf dem jeweiligen Instrument, wenn man das Improvisationsspiel beherrschte.
Ausschließlich Werke Anderer zu "interpretieren" galt als banal, einfältig, jedenfalls reichte das nicht um in der Musikszene Anerkennung zu erhalten.
Ab dem 19. Jahrhundert entwickelte sich dann aber die Musik so, dass verschiedene Kompositionsstile entstanden und sich immer weiter voneinander abgezweigt haben. Das ging so weit, dass Anfang des 20. Jahrhunderts zur gleichen Zeit Stilrichtungen wie Impressionismus (Debussy, Ravel), Sinfonik von Mahler, Neoklassizismus von Strawinsky und etliche andere existierten. Und diese Schere ging jeweils noch weiter auseinander im Laufe der Zeit.
Das heutige Komponieren in der "klassischen" Musik hat nichts mit dem zu tun, was man als Laie, Hörer oder sonst auch immer unter Klassik versteht. Als Beispiele seien mal Werke von Stockhausen, Cage, Boulez, heute Jörg Widmann u.a. genannt....
Der "Interpret" ist auch eigentlich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden. Der Virtuose, der das Publikum begeisterte, Konzertsäle füllte, gab es vorher nicht (Paganini, Rachmaninoff, Sarasate, Liszt etc.), Beethoven Mozart und co. spielten und komponierten mehr für die Adeligen in einem kleineren Kreis. Dieser Interpret entwickelte sich soweit, dass die ersten dieser Gattung noch komponierten, aber da die Spieltechniken u.ä. sich immer weiter verbesserten und das allgemeine Niveau höher geworden ist, wurde aus einem musikalischen Allrounder mehr und mehr zum Fachidioten (bös gesagt) geworden.
Man muss aber auch zur "unserer" Verteidigung sagen, dass es schwer genug ist, das Instrument auf einem gewissen Niveau zu beherrschen, um in der Lage zu sein, die Werke zu interpretieren. Das technische Handwerk und die Virtuosität zu erlangen erfordert jahrelanges Üben, z.T. eben auch mehrere Stunden. Zu meiner fleißigsten Zeit habe ich auch bis zu 6 - 7 Stunden am Tag am Klavier gesessen und geübt. Musste einfach sein. Zu einer großen Karriere hat es trotzdem nicht gereicht. :clown: Die berühmtesten Pianisten haben noch viel länger geübt am Tag.
Gerade die hohe Dichte an hoher Qualität der Interpreten gibt uns keine Möglichkeit, uns mit Eigenkreationen zu beschäftigen. Klar hat man mal was geschrieben, aber das ist nicht der Rede wert, war eher nur aus Spaß und so toll ist es auch nicht (aus meiner Sicht jedenfalls). Zumal heutzutage im Stile eines Mozart oder Mahler oder was auch immer zu komponieren eben nicht mehr zeitgemäß ist. Komponieren ist heute eine sehr komplexe Sache geworden. Viel Spielraum für Kreativität ist leider nicht mehr vorhanden, da ja schon vieles existiert. Heute wird mehr versucht, krampfhaft irgendetwas sich zusammenzufeixen und das dann als kreativ zu bezeichnen, sich aber über die Ästhetik dessen weniger Gedanken macht.
Lange Rede kurzer Sinn, der "Interpret" ist mehr Fachidiot heute als musikalischer Allrounder zu sehen, der auch über den Tellerrand hinausschaut, da die Entwicklung im Laufe der Zeit nichts anderes zulässt.
Ich hoffe das war soweit nachvollziehbar, auch wenn ich natürlich eure Sicht nachvollziehen kann, in der Pop / Rockmusik ist es rein von der Situation einfach eine ganz andere.
€dit: @ Le Freaque:
Die von dir genannten Leute machen eine völlig andere Art von Musik als wir es tun. Was aber nicht heißt, dass wir sowas nicht hören - im Gegenteil. Für viele klassische Musiker ist es auch total schön und was feines, auch etwas anderes zu hören, wie z.B. Jazz (Oscar Peterson, Keith Jarrett usw. mal als Beispiele für Pianisten), oder auch Jamie Cullum oder ähnliches. Auch wenn wir diese von dir genannte Entwicklung durchaus mitbekommen - Einfluss auf unser Spiel übt deren Musik jedoch überhaupt nicht aus, da es eine völlig andere Musik ist. In diesem Fall sind wir lediglich Konsumenten wie viele andere auch.
Zum Interpretieren selber: auch das ist natürlich eine Auslegungssache. Man kann es so sehen und so sehen. Zum einen heißt Interpretieren, das zu wiedergeben, was sich der Komponist darunter vorgestellt hat. Zum anderen heißt aber auch Interpretieren, die Noten, die der Komponist geschrieben hat, mit seiner eigenen Vorstellung darunter, was jedes einzelne Detail zu bedeuten hat, oder meinetwegen sogar einer eigenen Geschichte unterlegt.
Gustav Mahler sagte schon: "Das beste an der Musik steht nicht in den Noten." Interpretieren gibt uns zumindest genug Möglichkeiten, Eigenleben in den Werken einzuhauchen, dass wir darin letztendlich unsere Erfüllung finden.