Für mich war der Kampf ein "Kann-nicht" gegen "Will-und-traut sich-nicht". Haye ist WM geworden, hat aber zugleich für mich seinen ohnehin nie ernsthaft vorhandenen Ruf als "das nächste große Ding im Schwergewicht" bzw. als "Retter des Schwergewichts" verloren - Zum einen muss das Schwergewicht nicht gerettet werden, zum anderen hat Haye offenkundig nichts, was ihn zu einem Dominator machen könnte.
Haye hat genau so geboxt wie ich es erwartet und in meinen Predictions prognostiziert habe. Er hat den Kampf gewonnen, ohne auch nur ein bisschen zu glänzen. Haye boxte sehr vorsichtig und hatte nie die Absicht einen KO zu erzwingen, wenn sich das aus einem Treffer ergibt: gut - wenn nicht: auch gut - das konnte man sehr schön in der zwölften Runde sehen.
Aus dem Kampf kann man ein paar Dinge ableiten:
1. Haye hat einen Gameplan und kann diesen auch umsetzen. Er besitzt erkennbar Ringintelligenz und ist sehr fokusiert. Es war von vorne herein klar, dass er gegen Valuev am Einfachsten gewinnen kann, wenn er versucht sehr beweglich zu bleiben, sich Valuev weitestgehend zu entziehen und immer wieder mit rein-Treffer-setzen-raus seine Punkte zu holen.
2. Das Valuev-Team hat Valuev auch einen Gameplan mitgegeben und Valuev war sichtlich bemüht, es fehlten ihm aber einfach die Mittel um gegen einen Boxer etwas zustande zu bringen, der schon vorher wie einige andere Gegner als stilistischer Albtraum für ihn gelten durfte. Valuev ist einfach körperlich und geistig zu langsam und zu unbeweglich, um Haye erntshaft zu gefährden, wenn der eine Vermeidungstaktik fährt.
3. Folgender Satz ist für mich erkennbar falsch:
Haye hat den Ottke gemacht. Warum? Nach einer Abtastphase und der Erkenntnis der ersten Runden, dass Valuev zu langsam und unbeweglich ist, um ihn überhaupt zu gefährden, hat Haye trotzdem seine Vermeidungsstrategie durchgezogen. Was, wenn nicht sehr großer Respekt vor der bekanntermaßen kaum vorhanden Schlagkraft des ohnehin wenig treffenden Valuev in Kombination mit Befürchtungen um die eigene Kondition mag Haye dazu bewogen haben, seinen Stiefel, unabhängig von der Entwicklung des Kampfes und der erkennbaren Unfähigkeit des Gegners, so runterzuboxen. Ich habe damals Wladimir Klitschko für diese völlig überzogene Safety-only-Taktik gegen einen überforderten Rahman kritisiert, ich kann Haye für seine Variante der gleichen Taktik ebenfalls nur kritisieren, zumal er im Gegensatz zu Wladimir auch noch vor dem Kampf das Maul meterweit aufreisst und Parolen in die Welt posaunt, die ihn nachher umso mehr als Hühnchen erscheinen lassen.
4. Valuev war zwar schlecht, eigentlich nur genauso schlecht wie immer, wenn er einen schnelleren und beweglicheren Boxer zu boxen hat. Trotzdem war es nicht so, dass er gar nicht getroffen hat, wie einige Nutzer hier mal wieder völlig überzogen behaupten. Haye hatte sogar eine Schwellung unter dem rechten Auge. Wo soll die herkommen, wenn Valuev gar nicht trifft? Valuev und Haye hatten eine unterirdische Trefferzahl im Kampf. Valuev weil er häufig nicht traf, Haye weil er es gar nicht ernst versuchte, sondern sich lieber dem Kampf entzog. Valuev traf gelegentlich zum Körper, viel zu selten mit dem Jab und der immer wieder ausgegebenen Anweisung seines Trainers folgend, selten zum Oberkörper von Haye, wohl um ihn zu ermüden. Valuev war klar der aktivere Mann, Haye hat gelegentlich zum Körper gearbeitet und in jeder Runde zwei bis dreimal versucht Treffer zum Kopf anzusetzen. Da dies oft zur Rundenmitte oder zum -ende er erfolgte, muss man m.E. schon davon sprechen, dass Haye versuchte die Runden zu klauen. Erfolgreich? Klar. In der Manier eines Champions? Nein. In Erfüllung seiner großen Worte vor dem Kampf? :laugh2: Mit einem attraktiven Kampfstil, der alle künftigen Gegner dominiert, egal wie diese technisch boxen und wie sie taktisch eingestellt sind?
5. Haye ist auch im Schwergewicht austrainiert, beweglich, schnell, mit gutem Handspeed und schönen Meidbewegungen, er ist mit einem guten Auge ausgestattet und besitzt Schlagkraft und Ringintelligenz. Bis jetzt sehe ich da einen Chris Byrd 2.0 - bessere Schlagkraft, schlechtere Kondition, schlechtere Nehmerqualitäten. Er ist gut für einen Titel, mehr nicht. Er gehört zur zweiten Reihe des Schwergewichts, an den Klitschkos (erste Reihe) kann er nicht kratzen, weil:
6. Gegen Wladimir würde er auf einen Gegner treffen, der alles so gut kann wie er, manches sogar besser. Haye hat sich gegen Valuev taktisch umgestellt, technisch überhaupt nicht. Noch immer verlässt er sich auf seine Beweglichkeit und seine guten Reflexe - von Deckung auch weiterhin kaum eine Spur, seine Linke hängt immer noch in der Nähe seiner linken Kniescheibe. Ein gefundenes Fressen für Wladimirs Rechte, dessen Jab Haye nicht vermeiden kann. Auch ist Wladimir ebenso schnell wie Haye - Valuevsche Luftlöcher sind nicht zu erwarten.
7. Gegen Vitali wäre es ein Albtraum für Haye. Vitali würde Haye erdrücken. Wenn es schon Valuev gelingt, Haye in einer Ecke zu stellen, dann sehe ich für Haye schwarz, wenn der wesentlich beweglichere, schnellere, variablere Vitali Haye in einer Ecke stellt und dann die Haken aus allen Winkeln einschlagen, zumal Haye keine Deckung kennt.
8. Ob Haye sicher gegen die derzeitige zweite Reihe wie Chambers, Povetkin, Chagaev, Gomez, Arreola, Thompson gewinnen würde? Ich bin mir da nicht so sicher. Schon der nächste Kampf gegen John Ruiz wird interessant. Ruiz ist immer noch sehr professionell, durchaus variabel und sehr unangenehm im Infight. Bin gespannt auf Hayes Taktik gegen die vielarmige Krake.
Roberts