1., 10., 1. – nach einer katastrophalen Saison 2015/16 stand Chelsea vergangenen Mai zum zweiten Mal innerhalb von 3 Jahren am 38. Spieltag wieder an der Tabellenspitze der Premier League, etwas Geringeres als die Mission Titelverteidigung ist unter Antonio Conte im Hinblick auf die neue Spielzeit nicht zu erwarten.
Während letzten Sommer die (finanziell) ganz großen Transfers ausblieben und man punktuell Löcher stopfte, ist man in diesem Transferfenster scheinbar gewillt, mehr Scheine den Besitzer wechseln zu lassen: Bakayoko wurde für ca. 40 Mio., Morata für (vorläufig) 58 Mio. geholt. Allerdings nicht genug, wie Antonio Conte erst letztens auf einer offiziellen Pressekonferenz verlauten ließ. Und damit könnte der Italiener vermutlich Recht haben, denn während City und United diesen Sommer (und bereits letzten Sommer) Unsummen für Transfers ausgegeben haben, gibt man sich bei Chelsea (noch) vorsichtig, obwohl der Kader mittlerweile über überhaupt keine Tiefe mehr verfügt. „Mittlerweile“, weil man Spieler wie Chalobah, Ake, Mikel, Oscar, Ivanovic, Terry, Matic, Begovic, Loftus-Cheek, Aina und Zouma seit Jänner abgegeben bzw. verliehen hat und diese bislang lediglich durch Morata, Bakayoko, Rüdiger, Caballero und Christensen ersetzt hat; Transferziele wie Lukaku, Alex Sandro oder Danilo mussten bereits als gescheitert erklärt werden, weil – so überwiegend Medienberichte – man immer wieder die letzten paar Millionen nicht zahlen wollte. Stand jetzt scheint sich die Vereinsführung bei Chelsea eine Herkulesaufgabe eingebrockt zu haben, denn den Kader in den nächsten knapp 3 Wochen mit 4-5 qualitativ hochwertigen Neuzugängen – vor allem sparsam – zu verstärken, wirkt praktisch unmöglich.
Nichtsdestotrotz geht man als Titelverteidiger in die kommende Saison. Letztes Jahr spielte man überwiegend souverän und stellte mit 30 Siegen in 38 Spielen einen neuen Premier-League-Rekord auf. Dabei schaffte es Antonio Conte, den Mourinho’schen Schaden zu beseitigen und der Mannschaft eine neue Identität zu geben und sie attraktiven offensiven Fußball spielen zu lassen, ohne dabei die defensive Ordnung aufzugeben. Verhöhnte Neuzugänge wie David Luiz und Marcos Alonso bewiesen ihre Klasse, N’Golo Kante avancierte (offiziell) zum besten Spieler der Liga, Hazard untermauerte seinen Status als Top-5-Spieler der Welt und schickte nebenbei Francis Coquelin Pirouetten drehend zurück in den Norden Londons und selbst ein vom Leihsystem Chelseas ehemals gebeutelter Victor Moses sicherte sich einen Stammplatz und trug wesentlich dazu bei, dass man wieder Meister wurde. Die Mannschaft besitzt sowohl die notwendige mentale Stärke und Disziplin als auch die spielerische Klasse, um sich an jedwede Situation und jeden möglichen Gegner anzupassen. Man lieferte nicht nur das vllt dominanteste Spiel der Premier-League-Geschichte gegen Everton (5:0) ab, sondern drehte auch einen Rückstand gegen Man City im Etihad, fuhr im Frühjahr reihenweise kaltschnäuzig 1:0- oder 2:1-Siege ein und ließ sich im Saisonfinish von niemandem mehr die Butter vom Brot nehmen. Nun hat man noch mit Bakayoko einen neuen Mittelfeldpartner für Kante geholt, der aufgrund seiner Athletik und Reaktionsschnelligkeit noch besser ins Conte-System passen sollte als Matic, mit Antonio Rüdiger und Andreas Christensen zwei junge und spielstarke Innenverteidiger mehr im Kader, um die bereits starke Verteidigung weiter zu verstärken, und mit Alvaro Morata einen der gefragtesten jungen Stürmer verpflichten können.
Dass mit Cahill, Luiz und Azpilicueta in der abgelaufenen Saison dann auch gleich drei Spieler unglaubliche Reife und Führungsqualitäten bewiesen, kann nur positiv aufzufassen sein, insbesondere nun, da mit John Terry der beste Spieler der Chelsea-Historie den Verein verlassen hat. JT war nicht nur ein Jahrzehnt lang einer der besten Innenverteidiger aller Zeit, sondern auch der Kapitän der Mannschaft. Einen Mann, den Chelsea-Fans „Captain, Leader, Legend“ nennen, zu ersetzen, wird nie möglich sein. #26 führte Chelsea erfolgreich in unzählige Champions-League-Schlachten, wurde zu DER Identifikationsfigur an der Stamford Bridge und schloss ein Band mit den Fans, wie es nur wenige Profifußballer je getan haben. Seine Statue vor der Stamford Bridge kann nicht früh genug errichtet werden.
Der Übergang in eine neue Ära bei Chelsea verlief bisher auch eher schleppend. Neben den oben genannten Transferproblemen konnte man auch in kaum einem Vorbereitungsspiel überzeugen, gegen Arsenal setzte es letztens eine Niederlage im Community Shield. Weiters sind Hazard und Bakayoko momentan noch verletzt bzw. noch nicht spielbereit und werden somit den Saisonauftakt verpassen. Sollten die beiden mehrere Spiele ausfallen, so könnte damit auch ein sehr holpriger Start in die neue Spielzeit einhergehen, denn das Programm in den ersten Wochen hat es in sich: Nach Burney (H) am ersten Spieltag geht es dann gleich auswärts gegen die Spurs, gefolgt von Everton (H), Leicester (A), Arsenal (H), Stoke (A) und City (H) bis Ende September. Einen Saisonstart wie letzte Saison darf man sich nicht erlauben, so schnell wird man nicht wieder ein Wundersystem und die Form für 14 Siege in Folge finden.
Vieles hängt somit von der Aktivität auf dem Transfermarkt in den kommenden Wochen ab: Schafft man’s, 3-4 gute Spieler (und nicht biederen Durchschnitt wie Danny Drinkwater, mit dem man zuletzt in Verbindung gebracht wurde…) in den nächsten drei Wochen zu verpflichten, stünde man mit einem guten und tiefen Kader da, der dringend notwendig wäre, spielt man dieses Jahr doch wieder in der Champions League. Vor allem die beiden Wingback-Positionen bräuchten neues Leben; von Moses und Alonso zu erwarten, dass sie wieder eine ganze Saison über über ihren Möglichkeiten spielen, wäre höchst riskant und kann eigentlich nie und nimmer gut gehen. Für das zentrale Mittelfeld braucht man eigentlich auch einen weiteren Mann, Fabregas in einem Zweiermittelfeld ist nicht gut und athletisch genug im Jahr 2017 und für ein Dreiermittelfeld fehlt es schlichtweg zahlenmäßig an Spielern. Zuletzt wurde man mit Alex Sandro, Danny Drinkwater, Ross Barkley, Van Dijk, Alex Oxlade-Chamberlain, Joao Cancelo, Sergi Roberto, Danny Rose, Serge Aurier und Riyad Mahrez in Verbindung gebracht. Viele Namen, aber ob da wirklich was dran ist, ist momentan schwer einzuschätzen, da kaum verlässliche Quellen bisher von Transfergesprächen über die angesprochenen Spieler berichtet haben. Auch um Diego Costa ist es zuletzt sehr ruhig geworden. Nicht direkt um Diego Costa – nein, der lässt weder in Gegenwart von Journalisten noch auf Social-Media-Accounts eine Chance aus, seine verbliebene Professionalität zu begraben –, sondern um mögliche Transfers von ihm. Atletico ist sein persönliches, erklärtes Ziel, doch die Madrilenen unterliegen momentan noch einer Anmelde-/Transfersperre und sind auch nicht gewillt, mehr als 20 Mio. für den spanischen Nationalspieler zu zahlen. Milan scheint seinen Transferwahn beendet zu haben, lediglich eine Leihe scheint derzeit noch eine Option für die Italiener zu sein, was Chelsea bisher allerdings (zumindest ohne Kaufverpflichtung) ausgeschlossen hat.
Wieder einmal hängt also alles von Last-Minute-Transfers ab, mittlerweile eigentlich eine Chelsea-Tradition. Allein eine Wiederholung des Sommers 2015 wird man hoffentlich abwenden können…
Zugänge
Alvaro Morata (Real Madrid), Tiemoue Bakayoko (AS Monaco), Willy Caballero (Man City) und Antonio Rüdiger (AS Rom)
Abgänge
John Terry (Aston Villa), Nathan Ake (Bournemouth), Asmir Begovic (Bournemouth), Nathaniel Chalobah (Watford), Kurt Zouma (Stoke, Leihe), Loftus-Cheek (Crystal Palace, Leihe), Bertrand Traore (Lyon), Mario Pasalic (Spartak, Leihe), Nemanja Matic (Man United), Ola Aina (Hull, Leihe), Tammy Abraham (Swansea, Leihe), Baker (Boro, Leihe)
Manager: Antonio Conte
Conte übernahm letzte Saison nicht nur Chelsea und gewann mit den Londonern die Meisterschaft, sondern wurde auch zum taktischen Vorreiter mit einer Dreierkette in der Abwehr bzw. seinem 3-4-3, welches unter anderem Wenger und Mourinho kopierten. Auch diese Saison wird man auf Genieeinfälle von Conte hoffen, um in den vier Wettbewerben ganz vorne mitmischen zu können. Der Italiener zeigte letzte Saison eindrucksvoll, dass seine Mannschaft einerseits gegen die großen Vereine der PL mithalten und genug Punkte einfahren sowie andererseits mit dem Tabellenmittelfeld und –keller den Boden aufwischen kann. Daran hat der Trainer selber großen Anteil gehabt, schaffte er es doch, eine Formation und ein System zu wählen, welche perfekt auf das vorhandene Spielermaterial zugeschnitten waren. Dass gegen Saisonende vereinzelt Teams besser auf Chelsea eingestellt waren, ist als normaler Lauf der Dinge zu werten und war nüchtern betrachtet früher oder später zu erwarten. Nun hat Conte die Chance, sich ein weiteres Mal zu beweisen und Schwachstellen seiner taktischen Vorgaben zu identifizieren und diese zu beseitigen. An seiner optischen Performance an der Seitenlinie gibt’s allerdings nichts zu bemängeln, die frenetischen Torjubel darf es ruhig auch in der kommenden Saison regelmäßig zu bewundern geben.
Player to watch: Alvaro Morata
Nicht Romelu Lukaku, sondern Alvaro Morata soll Chelsea in den nächsten Jahren zu Titeln schießen. Während ersterer zu United wechselte, konnte Chelsea den Spanier von Real Madrid für 58 Mio. (exklusive Boni) verpflichten. Damit ist Morata Chelseas neuer teuerster Neuzugang und löst Landsmann Torres im vereinsinternen Ranking ab. Dass Morata erfolgreicher sein wird als Torres, ist die große Hoffnung von Chelsea-Fans. Allerdings: Nur wenige Stürmer haben in den letzten 15-20 Jahren wirklich Erfolg gehabt an der Stamford Bridge: Jimmy Floyd Hasselbaink, Eidur Gudjohnsen, Didier Drogba, Nicolas Anelka und Diego Costa. Alles andere, als sich unter diesen Namen einzureihen, wäre sowohl aus finanzieller als auch aus sportlicher Sicht eine Katastrophe für Chelsea, sind doch Top-Stürmer heutzutage rarer und teurer als je zuvor. Das Potenzial dazu hat Alvaro Morata aber allemal; er ist schnell, besitzt eine gute Technik, beherrscht das Kombinationsspiel auf engem Raum und zeigte in den letzten Jahren eine aufsteigende Tendenz, was seine Torausbeute anging. Allerdings ist all dies vorerst mit Vorsicht zu genießen, denn der Spanier hat bislang noch kein Team als Stammstürmer angeführt und steht somit vor dem bislang größten Test seiner Karriere. Kann sich Morata in England zurecht finden? Gewöhnt sich Morata an das Tempo und die Spielweise der PL? Und: Kann er konstant Tore schießen, um Stammspieler bei einem europäischen Top-Verein zu sein? Diese Fragen sollten aus Chelsea-Sicht ehestmöglich beantwortet werden. Ohne Hazard wird der Saisonauftakt schon schwer genug werden, eine Torflaute vom neuen Starstürmer kann man sich eigentlich nicht erlauben.
Prognose: 2.
Der bisher eher schlecht als recht verlaufende Transfersommer trübt die Vorfreude auf die kommende Saison. Zwar sind Verstärkungen notwendig, doch hat man immer noch bis auf Matic und Costa dieselbe Stammelf der Meistersaison im Kader und mit Conte den Meistertraininer auf der Bank. Nichtsdestotrotz war die vergangene Spielzeit zugegeben natürlich einmalig, wobei man auch von den schwachen Konkurrenten (mit Ausnahme der Spurs) profitierte: Arsenal war Arsenal, Liverpool und Klopp war's zu windig, Mourinho musste sich vor den anderen englischen Top-Vereinen in der EL verstecken und Guardiola spielte mit Flügelstürmern als Außenverteidiger. Letzte Saison setzte man praktisch nur 15 Spieler das gesamte Jahr über ein und das ging schon auf die Substanz, obwohl man in der CL gar nicht vertreten war. Ein paar gute Neuzgänge bis Ende August könnten die Chancen steigern, ohne diese wird es für eine Titelverteidigung allerdings nicht ausreichen.