Barca ist im Bezug auf Vereinsführung ein komplizierter Club. Man hat eigentlich fast immer das Gefühl es herrscht Wahlkampf oder sonstiges Drama in der Führungsetage. Einfach mal aus meiner Erinnerung zu den zurückliegenden Jahren:
Joan Laporta war im Wahlkampf eher ein Außenseiter und punktete mit medial starken Auftritten und einem jungen Team an seiner Seite. Die Gruppe bestand aus vielen erfolgreichen Unternehmern die im Bezug auf den Club wenig Vorerfahrung hatten aber mit ihren modernen Idee überzeugten. (Gibt auch meines Wissens auf Youtube irgendwo eine Doku zu der Wahl damals).
Ein wesentlicher Faktor war auch das Versprechen, dass man bei einem Wahlerfolg David Beckham verpflichten wird. Solche "Versprechen" haben in Spanien ja durchaus Tradition. Perez punktete bei Madrid mit der Ankündigung, dass man Figo kaufen wird.
Teil des Teams und engster Vertrauter von Laporta war dann auch sein späterer Nachfolger Präsident Sandro Rosell. Beckham landete dann in Madrid und der "Ersatz" war glücklicherweise Ronaldinho. Rosell war geschäftlich extrem gut in Brasilien vernetzt und dort für Nike im Umfeld der brasilianisschen Nationalmannschaft tätig. Es wurde immer spekuliert, dass diese Connection im Bezug auf Ronaldinho entscheidend war. Ohne diesen sportlich so wichtigen Transfer hätte Laporta die folgenden Jahre auch nicht überlebt. Denn im Bezug auf die Führungsetage folgte viel Drama.
Man versuchte einige der gewaltbereiten und rechten Ultra Gruppen aus dem Stadion zu kriegen. Die randalierten, es gab Morddrohungen und angeblich sogar einen Plan Laporta zu entführen. Die alteingessenen Traditionalisten im Umfeld des Clubs hatten ein Problem mit dem jungen und modernen Team. Neue Marketing Aktionen wurden kritisch gesehen. Auch Trikotwerbung ist da ein gutes Beispiel. Ein Teil im Club wollte die werbefreien Shirts behalten und das neue Team hat auf die Werbeeinnahmen spekuliert. Dabei war jedem klar, dass die Nummer mit Unicef natürlich nur dazu gedacht war, dass man die Fans schon ein wenig für das Thema sensibilisiert. Aber grundsätzlich hat man im Bezug auf Marketing und Finanzen eigentlich einen sehr guten Job gemacht und massiv Schulden abgebaut.
Laporta hatte dann bald viele Gegner aus dem eigenen Lager. Es gab immer wieder Ärger zu einzelnen Entscheidungen und seinem "undemokratischen" Führungsstil. Eigentlich sind fast alle Leute aus seinem ursprünglichen Team irgendwann zurückgetreten oder auf Konfrontationskurs gegangen. Rosell ging ebenfalls nach nur zwei Jahren im Streit und hat immer wieder öffentlich gestänkert und durchblicken lassen, dass er vielleicht selbst kandidieren würde. Es gab Neuwahlen für 2006 und da hat der CL Titel Laporta den Hintern gerettet. Der Erfolg kam kurz vor der Wahl und jeder mögliche Gegenkandidat wusste, dass es keinen Sinn macht ihn zu diesem Zeitpunkt herauszufordern.
Laporta und auch einige Familienmitglieder waren aber auch mehrfach in politische Skandale verstrickt. Es ging um katalanische Innenpolitik. Die Frage zur Unabhängigkeit und den Vorwurf, dass Laporta seine politischen Ziele mit dem Clubgeschehen vermischt. Laporta stand dann eigentlich kurz vor dem Aus und entschied sich 2008 in einer ziemlich angespannten Lage Guardiola zum Coach zu machen. Die Tatsache, dass Laporta dann 2010 trotz der überragenden sportlichen Situation abgewählt wurde, zeigt schon wie unruhig und chaotisch das alles war.
Guardiola selbst galt zu dem Zeitpunkt als Unterstützer von Laporta. Auch Cruyff war ein Verbündeter von Laporta und hatte zu dieser Zeit recht viel Einfluss. Die waren in vielen Fragen auf einer Linie und kamen wohl auch privat ganz gut klar.
Zwischen Pep und der neuen Führungsetage um Rosell gab es dann immer wieder mediale Unruhe. Zwischen Cruyff und Rosell gab es über Monate eine öffentliche Schlammschlacht und auch Pep musste sich auf jeder Pressekonferenz mit diesen Themen herumärgern. Eigentlich weiß man bis heute nicht wo genau die Streitpunkte lagen aber bei dem ganzen internen politischen Gezanke waren Guardiola und Rosell eindeutig Gegenspieler obwohl natürlich beide öffentlich vorsichtig sein mussten. Das schwierige Verhältnis war dann aber auch ganz sicher ein Grund für Peps Abgang. Rosell musste sich dann zunehmend gegen Vorwürfe verteidigen, dass er zuviel Tradition für maximale Einnahmen opfert. Zuviel Marketing, zu wenig Fokus auf die Jugendarbeit. Laporta selbst war dann in der Öffentlichkeit der schärfste Kritiker.
Man war aber sportlich durchaus erfolgreich. Dann wurde Rosell allerdings sowohl für finanzielle Unstimmigkeiten beim Neymar Transfer (da wurde über die Gesamtkosten gelogen und an allen Ecken und Enden betrogen) als auch für krumme illegale Geschäfte mit TV Rechten im Zusammenhang mit der brasilianischen Nationalmannschaft angeklagt und landete dann später auch im Knast. Der Vize Bartomeu rückte vorübergehend nach und gewann dann auch später die Neuwahlen gegen den wieder antretenden Laporta. Der hatte zwar auch große Unterstützung im Club aber Enrique hatte gerade das Triple gewonnen und dementsprechend war die sportliche Stimmung "zu gut" für einen Kurswechsel.
Aus meiner Sicht sind die letzten Jahre unter Bartomeu eine Katastrophe. Er versuchte von Anfang an die Wogen zu glätten. Wollte auch den Stress mit dem Clan von Cruyff beenden. Aber man hatte bei Bartomeu nie das Gefühl, dass es irgendeinen Plan gibt. Der versuchte einfach im Amt zu bleiben und jeder Auftritt, jedes Interview und jede Maßnahme wirkte wie reine Selbstvermarktung.
In der Zeit von Laporta gab es riesiges Chaos und viel Ärger aber das waren eher politische Spielchen und Machtkämpfe. Auch Streitereien zwischen den verschiedenen Abteilungen des Clubs. Auch die Basketballer und Handballer haben immer große Ambitionen und sind entsprechend teuer. Dazu noch der ganze Breitensport. Da hat ja jeder seine eigenen Interessen und kämpft um Geld. Aber es hatte keinen Einfluss auf die Kabine der Fußballer. Die Spannungen zwischen Rosell und Pep waren zwar unübersehbar aber da hat man auch nie mitbekommen, dass sich irgendein Spieler einmischt oder zu Wort meldet.
Dagegen haben sich die Geschichten der letzten Jahre ganz eindeutig bis in die Kabine ausgewirkt. Vor einem Jahr wurde Anzeige gegen Mitglieder aus dem Vorstand gestellt weil man vermutet, dass der Vorstand eine Werbeagentur beauftragt hat um in den sozialen Medien gegen die Mannschaft und einzelne Spieler zu hetzen (also die Vereinsführung verteidigen/aus der Schusslinie nehmen und gleichzeitig einzelne Spieler in die Pfanne hauen). Ich glaube das Verfahren läuft auch noch wobei Bartomeu abgestritten hat, dass er etwas damit zu tun hat. Aber es gab diese Online Accounts und massive Hetze gegen einzelne Spieler.
Messi (der nun wirklich kein Lautsprecher ist) hat sich als Kapitän schon mehrfach öffentlich zu Wort gemeldet und zuletzt im Streit um den Corona Gehaltsverzicht ziemlich eindeutig gegen den Vorstand geschossen oder auch Abidal öffentlich "angezählt" weil der die Spieler für die Entlassung von Valverde verantwortlichen machen wollte. Auch zwischen den Zeilen ist ganz klar erkennbar, dass es hier großen Stress zwischen Vereinsführung und den Spielern gibt. Ehemalige Spieler wie Puyol oder Xavi haben in verschiedenen Interviews relativ deutlich gezeigt, dass sie ein Problem mit der aktuellen Führungsriege haben. Vor einigen Monaten ist fast die Hälfte der Vorstandsmitglieder zurückgetreten. Aus meiner Sicht ist das ganz klassisch "das Verlassen des sinkenden Schiffs". Es ist eigentlich klar, dass Bartomeu die nächste Wahl verliert und die Leute treten jetzt zurück und versuchen sich dann vielleicht den neuen aussichtsreichen Kandidaten anzuschließen oder eigene Kampagnen zu starten.
Der Wahlkampf hat auch schon längst begonnen. Bei Barca habe ich momentan das Gefühl, dass sich der Trainerkandidat (!) seinen Vorstand aussuchen wird
Jeder weiß, dass Xavi die Chance kriegen wird. Nach der Entlassung von Valverde hat Xavi abgesagt und auch durchblicken lassen, dass er nicht mit Bartomeu zusammenarbeiten will. Xavi hat mit Sicherheit noch immer einen sehr sehr guten Draht in die Kabine und zu vielen Personen im Verein.
Die Abneigung muss groß sein wenn er sich so krass positioniert. Die Fans vergöttern ihn. Wenn Xavi sich öffentlich zu einem Kandidaten bekennt wird das aus meiner Sicht schon fast eine Vorentscheidung für die Wahl sein.
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Und jetzt habe ich lange ausgeholt und eigentlich kein Wort zum eigentlichen Thema Transferpolitik gesagt. Aber das gehört zusammen. Es gibt bei Barca kaum Kontinuität sondern eigentlich dauernd Wahlkampf und entsprechende Machtspiele. Viele Entscheidungen fallen im Hinblick auf die kurzfristigen Auswirkungen der Beliebtheitswerte. Wenn es Unruhe oder schlechte Presse gibt, folgt bald die Meldung, dass man den Vertrag mit Messi verlängert oder irgendeine andere positive Geschichte. Man hat den Eindruck in jedem Transferfenster muss das vorhandene Geld ausgegeben werden unabhängig davon ob die verfügbaren Optionen wirklich Sinn machen. Da wird nicht langfristig geplant. Warum soll man jetzt sparen wenn man vielleicht die Wahl verliert und dann der Nachfolger den großen Transfer durchdrücken kann?
Die wohl mutigsten und besten Entscheidungen gab es von Laporta in einer Phase als er sowieso nichts mehr zu verlieren hatte. Der stand vor dem Aus und setzte dann auf Pep als Coach und den Rausschmiss der beiden größten Stars Deco und Ronaldinho.
Es ist sowieso schwierig im Fußball langfristig zu planen. Verletzungen, Formschwankungen, Entwicklungen der Spieler. Da ist auch immer viel Glück dabei. Auch mit viel Stabilität im Club und extrem viel Geld scheitert City seit Jahren beim Versuch eine vernünftige Viererkette zu kaufen.
Ich erwarte weder eine perfekte Trefferquote bei Transfers noch das jährliche Entwickeln von 3 La Masia Talenten zu Leistungsträgern der ersten Mannschaft.
Aber speziell unter Bartomeu ist überhaupt kein Plan erkennbar.
Wie kann man auf die Idee kommen Boateng als Mittelstürmer auszuleihen?
Klar, es war auch kein Geld für eine echte Lösung vorhanden weil man überhaupt keinen finanziellen Spielraum hat...
Eigentlich hätte man im Sommer anhand der sportlichen Situation Coutinho halten müssen. Aber man hätte sein Gehalt einfach nicht zahlen können. Wenige Monate später muss man dann für eine absurde Summe Martin Braithwaite per Klausel kaufen weil man im teuersten Kader der Welt keine gesunden Offensivspieler hat.
Man hat einen jungen talentieren Linksverteidiger Cucurella aus der eigenen Jugend und der zeigt bei seiner Leihe zu Eibar, dass er in der ersten Liga problemlos mithalten kann. Aber man verleiht ihn dann für ein weiteres Jahr an einen anderen Club und kauft für 18 Millionen Firpo für diese Position.
Die meisten hoffnungsvollen Talente aus der eigenen Jugend sind technisch starke zentrale Mittelfeldspieler. Aber man kauft für 30 Millionen Arthur. Das ist sicher kein Horror Transfer denn der würde vielen Topteams helfen. Aber es ist genau der Spielertyp den du eigentlich recht regelmäßig aus dem eigenen Haus einbauen kannst. Barcelona würde nicht weniger Punkte holen wenn man Alena für diese Rolle behalten hätte oder jetzt einfach Puig spielen lassen würde.
Das sind circa 50 Millionen für echte Luxustransfers während du weiterhin krasse Lückem im Kader hast. Es gibt eigentlich nur 3 oder 4 Spieler die ein Eins gegen Eins Duell gewinnen können. Messi und danach in abgeschwächter Form Semedo, de Jong und vielleicht Ansu Fati. Wobei diese drei diese Duelle auch nicht aktiv suchen. Es fehlt vorne generell an Tempo und es gibt keinen Winger im Kader.
Dembele habe ich hier ausgeklammert. Der würde natürlich viele dieser Probleme lösen und selbst wenn er jeden zweiten Ball verstolpert und fast nur Mist produziert ist Barca mit ihm ein ganz anderes Team. Ein echter Winger auf dem linken Flügel würde so extrem viele Probleme lösen.
Griezmann fällt für mich auch in die Kategorie Luxustransfer. Denn er ist letztendlich der extrem teure Ersatzmann für Ausfälle von Messi oder Suarez der aber mit den beiden Südamerikanern kaum funktioniert.
Mir tut das auch wirklich Leid für ihn persönlich weil er extrem hart arbeitet und bisher auch ohne Murren seine Rolle akzeptiert. War zwar nie sein größter Fan aber bin total überzeugt, dass er in seiner typischen Rolle beispielsweise bei United oder Real Madrid grandios funktionieren würde. Als Winger lässt er bei Barca die Bälle klatschen aber ist eigentlich eher durch seine starke Defensivarbeit ein Faktor. In den Spielen ohne Suarez oder ohne Messi war Griezmann top. Aber als Trio harmoniert das nicht.
Ich habe diese Problematik kommen sehen weil Griezmann seit Jahren schon nicht mehr auf dem Flügel spielt und auch Suarez und Messi ziemlich klare Rollen haben. Aber ich schätze hier hat sich das Board einfach gefreut, dass man einen großen Star präsentieren kann. Man war monatelang in der Kritik, dass man Neymar verloren hatte und die Suche nach dem Nachfolger auch nicht gerade erfolgreich war. Dann war Griezmann folgerichtig die Antwort. Der Nachweis, dass Bartomeu auch richtig zuschlagen und einen Star an Land holen kann.
Für mich war auch die Verpflichtung von Abidal ein reiner Publicity Stunt. Beliebter Spieler aus der erfolgreichen Zeit... Das gab kurzfristig gute Schlagzeilen. Leider weiß niemand was ihn für diesen Job bei einem der größten Clubs qualifiziert. Er macht eine enorm unglückliche Figur und wird von allen Richtungen attackiert. Der Brazzo von der Costa Brava
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Ich glaube im kommenden Jahr sind Neuwahlen. Bartomeu hätte wohl selbst bei einem Championsleague Sieg schlechte Karten. Gibt auch schon Kandidaten die sich positionieren. Ich habe es weiter oben schon gesagt: Ich glaube Xavi wird letztendlich eine wichtige Figur bei dieser Geschichte sein. Seine Unterstützung ist die halbe Miete. Und der kennt den Club und das Chaos. Ich hoffe der wählt sich den richtigen "Präsidenten" bzw das richtige Team und es wird etwas Ruhe und Stabilität einkehren.