„Die Erkrankung ist auch für Orthopäden eine echte Rarität“, sagt Marcus Schiltenwolf, der an der Universitätsklinik Heidelberg die Abteilung für Konservative Orthopädie und Schmerztherapie leitet: „Ich sehe so etwas vielleicht ein- oder zweimal im Jahr.“ Manche niedergelassenen Ortho-päden müssen erst nachschlagen, was es mit der Krankheit auf sich hat, so selten ist sie. Zum Untergang von Knochengewebe kommt es durch eine Durchblutungsstörung. „Offenbar ist die venöse Drainage, also der Blutabfluss im Knochen gestört“, sagt Schiltenwolf. Es beginnt mit Überdruck und einem Ödem, also einer Schwellung. Dann kommt es zum Absterben von Knochentrabekeln, das sind jene Stützstrukturen im Knocheninneren, die wie Fachwerk in einem Haus den Knochen durchziehen und die Statik gewährleisten. Schließlich drohen Frakturen, und der Knochen kann in sich zusammenbrechen und sich verformen.
„Ich glaube nicht, dass Rafael Nadal eine Knochennekrose hat“, sagt Schiltenwolf, „denn die schreitet voran und ist mit Hochleistungssport über Stunden nicht vereinbar.“ Dass der Spanier mit Opiaten und anderen Errungenschaften der abendländischen Pharmazie für die jeweiligen Matches „fitgespritzt“ worden ist, kann sich Schiltenwolf kaum vorstellen, die notwendige Dosis gegen die Dauerschmerzen wäre vermutlich so hoch, dass er „keinen Ball mehr treffen und nicht einen Satz durchhalten“ würde.
Auch Hartmut Gaulrapp, Orthopäde aus München mit Schwerpunkt Sportverletzungen und Fußchirurgie, mag sich mit der Diagnose eines Müller-Weiss-Syndroms, die angeblich schon 2005 bei Nadal gestellt wurde, nicht recht anfreunden. „Ich kann mir schwer vorstellen, dass er einen strukturellen Schaden im Knochen hat, wenn er sich immer wieder dieser enormen Belastung als Spitzensportler aussetzt“, sagt der erfahrene Knochenspezialist: „Zudem tritt das Müller-Weiss-Syndrom eigentlich immer beidseitig auf.“
Jedem normalen Menschen mit Müller-Weiss-Syndrom würden Ärzte zur Schonung und Entlastung raten. „Schwimmen vielleicht, aber nicht Tennis“, sagt Schiltenwolf: „Diese Erkrankung, wenn sie es denn ist, und Leistungssport – das ist ein Widerspruch in sich.“ Aber was ist bei Nadal schon normal? Eine weitere Therapieoption besteht darin, ein kleines Loch in den Knochen zu bohren und ihn auf diese Weise zu entlasten. Anschließend sind mindestens zwölf Wochen Pause angeraten, damit das operativ gesetzte Trauma ausheilt.