Es bringt auch nicht viel, über Ursachen zu spekulieren. Natürlich gibt es traumatische Erlebnisse, die eine Depression "auslösen" können, aber das scheidet bei Enke wohl aus: die Krankheit war ja offensichtlich schon vor dem Tod und auch vor der Geburt seiner Tochter da. Es gibt für gewöhnlich auch nicht "den" Grund. Eine Depression ist ja nicht zwangsläufig plötzlich da. Sie kommt auf eher leisen Sohlen, zunächst als Melancholie getarnt und nistet sich dann ein, macht es sich quasi im Kopf neben dem eigentlichen Bewusstsein bequem und beginnt dann langsam, aber stetig, dieses aufzufressen. Es lässt auch immer wieder vom eigentlichen Selbst ab...und kommt dann schlagartig wieder, ohne Voranmeldung, mit brachialer Gewalt.
Was dann im Kopf abläuft, die Ängste, die beinahe lähmen...über Stunden, Tage, Wochen, gefolgt von dieser unendlich tiefen, bleischweren und ganz stillen Traurigkeit - die dann eben auch einer sprichwörtlichen Todessehnsucht münden...oder eher in einer Sehnsucht, heimzukommen, Ruhe zu finden, keine Angst mehr vor der Angst haben zu müssen. Das kann man sich nicht vorstellen, wenn man es nicht kennt. Literatur kann natürlich eine Ahnung dessen vermitteln, aber das ersetzt natürlich nicht das tatsächliche Erleben.
Wenn man gleichzeitig funktionieren muss und ja auch will, im Beruf, möglicherweise als Vater und Partner - dann kostet das natürlich unendlich viel Kraft. Kraft, die am Ende fehlen kann - und da spielt die Öffentlichkeit Enkes vielleicht wirklich eine Rolle, aber ich will da nicht spekulieren. Genauso gut kann sein, dass ihn jahrelang nur der Jubel der Fans und das Adrenalin des Fussballs noch gepusht hat, um durchzuhalten. Das kann niemand sagen.
Was aber sicher ist, ist, dass der Tod - und explizit der Freitod, ab einer gewissen Stufe (die beängstigend schnell erreicht ist) ständiger Begleiter ist. Es ist dann gar nicht die Frage, ob man sich das Leben nimmt - nur wann. Einem Erkranktem ist in diesem "Nebenselbst" völlig klar - und zwar ab einer gewissen Depressionsstärke bei jedem "Schub" oder wie immer man das nennen will - dass es irgendwann damit enden wird, das wird zu einer unabänderbaren Konsequenz: "irgendwann wird der Tag kommen, wo ich es nicht mehr aushalte". Er kämpft, aus Selbsterhaltung, aber auch eben weil er die Folgen seinen Lieben nicht antun will. Diese Reflexion, die ja einige hier bemängeln, findet natürlich statt...ständig, obwohl man sich, wie z.B. liberalmente ganz richtig vermutet hat, onehin eher als "Last" empfindet (Liebe hilft natürlich, aber oftmals empfindet der Erkrankte auch Liebesbeweise "falsch": ich werde geliebt, obwohl ich bin, wie ich bin - nicht "weil". Ohne mich wäre doch auch ihr/sein Leben leichter).
Der Freitod eines Depressionserkrankten ist, wenn er wirklich durchgeführt wird, aber auch schon in der "Planung" oder Auseinandersetzung damit, für jeden normal denkenden Menschen natürlich völlig irrational und letztlich ein Affekt. Im Kopf des Kranken aber nicht. Der empfindet das als rationale und unausweichliche Konsequenz. Am Ende (und das kann auch ich gottlob nur vermuten) ist im Kopf kein Platz mehr für den Lokführer. Und ich glaube nicht, dass man dies einem so schwer erkranktem Menschen wirklich vorwerfen sollte, nicht nach seinem vielleicht jahrelangem "Todeskampf".
All das bedeutet natürlich nicht, dass eine Depression zwangsläufig ein Todesurteil ist. Ist sie natürlich nicht. Sie ist kein Parasit, den man als auserkorener Wirt nie wieder los wird. Sie ist eine Krankheit, die besiegt werden kann...meistens. Auch wenn man die Erinnerung an dieses unbeschreibliche Gefühl nie so ganz los wird, glaube ich wenigstens. Sie wird immer mal wieder anklopfen, a la "na, Lust auf ein Tänzchen?" - wie jede psychische Erkrankung, aber das ist zu handhaben. Aber jede wirkliche Depression hat zumindest das Potential, lebensbedrohlich zu wirken. Ob man sie übersteht, besiegt, whatever hat natürlich mit Früherkennung und Behandlung zu tun - aber auch mit einer gehörigen Portion Glück, dass neben der Krankheit nicht auch noch "reales Unglück" geschieht.
Was ich letztlich sagen will: eine tatsächliche Depression ist für den Betroffenen nichts anderes als die reine Hölle, die einem alles, aber wirklich alles abverlangt und ihn emotionale Grenzen pulverisiern lässt, von denen er vorher nicht mal ahnte, dass es sie gibt, geben könnte...und das teilweise über Jahre und Jahrzehnte. Man muss Robert Enke keinen Heiligenschein verleihen. Ein SElbstmord ist nicht sooo heldenhaft.
Aber etwas Respekt vor seiner Lebensleistung als Mensch, wenigstens ein stilles(!) Schulterzucken vor seiner Krankheit und seinem langen Todeskampf, auch wenn man sie nicht nachvollziehen kann, das sollte doch wohl drin sein. Auch für die Bilds, Sprees, Jakobees dieses Forums.