Aber wenn es heißt, bei Depressionen ist das schon okay, wenn man andere schwerwiegend seelisch verletzt, halte ich das für nicht in Ordnung. Bei aller Sympathie für Enke ist er für mich jetzt kein Halbgott.
Nein, es ist nicht in Ordnung, dass Enke eigentlich Unbeteiligte, seine Familie und andere Hinterbliebende Leid zugefügt hat. Nur ist es albern, das als eine Begründung für die teilweise sehr unsachlichen Beiträge herzunehmen, da Enke offensichtlich an einer Depression erkrankte. Der Vorwurf an Enke ist dabei, dass er nicht rational gehandelt hat, was in etwa dem Vorwurf an einen Rollstuhlfahrer entspricht, dass er nicht laufen kann (lapidares Beispiel, aber es soll hier nur dazu dienen, um die Sinnfreiheit des Vorwurfs an Enke vorzuführen).
Letztendlich ist Enke kein Halbgott, er ist auch nicht heroisch, weil er sich das Leben nahm, die allgemeine Stimmung zu Enke war schon vorher vorhanden, durch das Schicksal seiner Tochter, durch sein soziales Engagement. Das sollte man in Erinnerung behalten, und seinen Freitod mitunter dazu nutzen, darüber nachzudenken, wie die Gesellschaft allgemein und jeder für sich individuell auf psychisch kranke Menschen reagiert.
Das hier ist jetzt nur ein kleines, alkoholgesteuertes Gedankenexperiment. Also bitte nicht zu laut aufregen. Hier wird ja vehement das "Lokführerargument" als falsch oder unangebracht abgewiegelt.
Das Argument, doch an den Lokführer zu denken, ist an und für sich in Ordnung, nur taugt es nicht, um Betroffenheit derjenigen, die nun mal vom Tod Enkes schockiert sind, zu diskreditieren. Ich habe schon dargestellt, dass Empathie gegenüber Enke durch seine mediale Präsenz nachvollziehbar ist, das ist beim Lokführer nicht gegeben. Grundsätzlich falsch ist das Anbringen dieses Arguments nicht, es aber dazu zu nutzen, um Enke als "schlechten" Menschen darzustellen, zeugt nur davon, dass man sich meiner Ansicht nach dem Krankheitsbild eines Depressiven zuallerst mal verschliessen will. Und das ist, so sehe ich das jedenfalls, einer der Gründe dafür, dass sich Depressive eben nicht offen über ihre Krankheit unterhalten können. Weswegen mitunter notwendige Hilfe nicht in Anspruch genommen wird, da der Depressive zusätzlich zu seiner Depression noch in Existenzängste gedrängt wird, eine Spirale, die wie im Falle eines durchaus sehr erfolgreichen Fußballers teilweise eben ein Grund für einen Suizid lieferte.
Wie hoch müsste der Schaden des Selbstmordes für unbeteiligte denn sein, bevor die allgemeine Betroffenheit und Anteilnahme anders aussehen würde?
Du versuchst zwei unterschiedliche Dinge gegeneinander aufzuwiegen, als ob dabei eine Entscheidung für das eine oder andere notwendig wäre. Das ist es nicht. Die Tatsache, dass eine Schaden für eigentlich unbeteiligte Menschen entstanden ist, macht die menschlichen Tragödie, die hinter Enkes Suizid steht, nicht kleiner. Beide Dinge sind ein Argument gegen den Suizid, aber nicht gegen den Menschen Enke.
Depression dient ja als totaler Entschuldigungsgrund (untechnisch gesprochen)
Nein, dient sie nicht. Eine Erklärung ist mitnichten eine Entschuldigung.
...was ist von depressiven Selbstmördern zu halten, die sich in irgendwelchen Waschküchen aufhängen?
Was ist das für ein sinnloses Beispiel? Was willst Du daran demonstrieren? Ist der Waschküchensuizid "besser" als der von Enke gewählte Weg, weil dadurch "weniger" Schaden für Unbeteiligte entsteht?
Ein Sarah Kuttner Buch in dieser Hinsicht zu empfehlen ist :thumb:
Der Hauptcharakter des Buches leidet an einer Depression. Die Empfehlung war nicht darauf aus, ein möglichst spezifisches Bild einer tabuisierten Erkrankung aus Sicht eines Mediziners zu geben, sondern leicht verdauliche Belletristik, die ein paar Auswirkungen im täglichen Leben aufführt. Du hast den Hintergrund der Empfehlung schlichtweg nicht verstanden, wenn Du glaubst, Sarah Kuttner wäre dadurch als "Expertin" in Sachen Depression genannt worden. (Wobei Experte an sich kein geschützter Begriff ist.)
Sehe ich auch so Nico, dass nicht jeder gleicher Meinung ist, ist ja nur menschlich, auch wenn es hier einige nicht wahr haben wollen.
Es gibt einen Unterschied zwischen eigener Meinung und Trollen.