Bald ist Weihnachten, wie feiern Sie dies in Dubai?
Mit der Familie, und einem Christbaum. Gestern wurde alles dekoriert. Wir guetslen auch. Meine Eltern kommen, was dieses Jahr speziell macht. Es ist immer eine schöne Zeit, ich habe gerne Weihnachten. Ich wäre zwar lieber in der Schweiz, logisch. Denn von da stammen meine Kindheitserinnerungen. Und nicht aus Dubai. Früher war ich meist in Berneck bei den Grosseltern. Das sind die Bilder, die mir in den Sinn kommen.
Wann erlebten Sie letztmals weisse Weihnachten?
Vor ein paar Jahren flogen wir extra nach Hause und gingen ins Chalet hoch (nach Valbella). Doch dann war es grün. (lacht) Immerhin begann es am 25. Dezember zu schneien. Das war vor sechs, sieben Jahren. So richtig weisse Weihnachten habe ich schon lange nicht mehr erlebt. In Basel hat es ja auch nicht so viel Schnee über die Festtage. Es muss ewig her sein.
Stellen Ihre Kinder auch eine Wunschliste zusammen?
Ja. Sie schreiben sich Dinge auf, die sie sich schon länger wünschen. Was aber nicht heisst, dass sie alles bekommen. Manchmal kommen die lustigsten Wünsche zusammen. Problematisch wird es, wenn sie sich ein Haustier wünschen. Wir sind ja selten zu Hause, daher macht das keinen Sinn. Noch nicht. Es gibt dann einmal ein Haustier, wenn wir öfters daheim sind.
Ist Weihnachten für Sie auch eine Phase der Reflexion? Eine Zeit, in der Sie kurz durchschnaufen und zurückschauen?
Bei mir passiert das mehr in den Ferien. Ich bin ja jetzt gerade aus den Ferien zurückgekehrt, war dort zwei Wochen mit Mirka, den Kindern, den Eltern. Da gibt es ruhige Momente, in denen ich Zeit habe, das Jahr Revue passieren zu lassen und nach vorne zu schauen. Zu analysieren, was gut läuft und was nicht. Aber jetzt bin ich bereits wieder so sehr am Trainieren, dass ich dafür keine Musse mehr habe. Ich schaue schon ganz fokussiert nach vorne.
Wenn Sie kurz durchschnaufen, denken Sie manchmal: Ich habe schon ein verrücktes Leben?
Das kann schon vorkommen. Manchmal ist es völlig normal für mich, dass ich immer am Reisen bin, stets ein Hype um mich herum herrscht, es bei jedem Match voll ist, ob Sieg oder Niederlage. Aber es gibt auch Momente, in denen ich mir bewusst werde, wie verrückt das alles ist: Dass ich immer erkannt werde, es stets ausverkauft ist, ich wieder gewonnen habe. Es kommt darauf an, wie viel Zeit ich für mich allein habe. Was eher selten vorkommt. Ich habe ein durchgetaktetes Leben. Es ist fast immer etwas los. Wenn ich nach Hause komme, höre ich kein Echo. Die Kinder sind da, es geht nahtlos weiter. Für Mirka und mich sind deshalb die Abendessen so wichtig, zu zweit oder auch einmal mit Freunden. Da sind wir für einmal unter uns, können einen Schwatz halten. Diese Momente tun uns gut.
Sie haben gerne Leute um sich herum. Woher kommt das? Und woher kommt Ihre Fähigkeit, einen solch schnellen Zugang zu den Menschen herzustellen?
Am Anfang war ich noch etwas scheu… Aber ich hatte nie Probleme damit, auf andere zuzugehen. Das habe ich von meinem Vater. Ich verbringe wirklich sehr wenig Zeit allein, abgesehen von den Stunden auf dem Massagetisch. Während der Massage habe ich Zeit für mich, täglich etwa eineinhalb Stunden. Da komme ich zur Ruhe. Aber es stimmt schon. Wenn ich mich mit Pete Sampras vergleiche, dem es schwerfiel, neue Menschen zu treffen, da bin ich ganz anders. Ich schenke anderen schnell das Vertrauen, und wenn es jemand missbraucht, sage ich mir: «Okay, diesmal hast du Pech gehabt.» Aber das hält mich nicht davon ab, wieder offen auf andere zuzugehen, um mit ihnen den Moment zu geniessen. Ich liebe es, neue Menschen zu treffen und mich auf sie einzulassen. Denn jeder hat eine andere Geschichte zu erzählen, jeder hat seine eigenen Kämpfe auszutragen. Vielleicht sehe ich deshalb bei jedem das Positive.
Nach dem ATP-Finale in London folgte für Sie sofort die Südamerika-Tournee. Sie dürften nach dem Halbfinal-Aus gegen Stefanos Tsitsipas enttäuscht gewesen sein, doch es ging gleich weiter. Wie schaffen Sie es, sich immer gleich wieder ins Nächste stürzen zu können?
Das hat mir das
Tennis beigebracht. Es ist nach einer bitteren Niederlage auch stets eine Chance, wenn gleich das Nächste kommt. Ganz extrem war es in Bogotá (beim Schaukampf), als wir bereit waren, auf den Platz zu laufen und zu spielen. Doch dann mussten wir das Spiel absagen. Wir waren unglaublich enttäuscht. Ich sagte zu Sascha (Zverev): «Kannst du dir vorstellen, dass wir in 24 Stunden in der Stierkampfarena in Mexiko-City sind und den Zuschauerrekord für einen Tennismatch brechen? Wenn du einen Reality-Check brauchst, dann ist das jetzt. Heute kannst du nicht glauben, was passiert ist. Morgen ebenfalls, im positiven Sinne.» Deshalb darfst du auch nicht auf einmal alles negativ sehen, wenn es einmal nicht läuft. Ich sagte mir in der zweiten Hälfte meiner Karriere, so ab 25, dass ich nicht mehr lange traurig sein will nach Niederlagen. Das bringt nichts. Ich will nicht so viel negative Energie haben. Heute kann ich so den Schalter umlegen (er schnippt mit den Fingern), und es ist wie vergessen. Zwar gibt es ab und zu Flashbacks. Dass ich denke: «Okay, das war schade!» Aber dann sage ich mir: «Egal, es geht weiter!»
Nach den Swiss Indoors sagten Sie im TV-Interview, Sie seien traurig, dass alles so schnell gegangen sei und sich Ihre Karriere langsam dem Ende zuneige. Kommen solche Gedanken oft auf?
Meist nur, wenn ich gefragt werde, wie lange ich noch spiele. Dabei weiss ich das auch nicht. Ich bin selber gespannt. Was ich weiss: Dass die letzten 20, 25 Jahre im Nu vergangen sind. Mit 14 war ich an der Orange Bowl, der Junioren-Weltmeisterschaft. Die fand jetzt gerade diese Woche statt, der Sohn von Tony (Godsick, dem Manager) spielte mit. Dann denkst du zurück an deine Zeit als 14-Jähriger. Jetzt sitze ich hier mit 38 und frage mich: Ist schon fast alles vorbei? Falls dem so wäre, wäre es wirklich sehr schnell gegangen. Aber das ist auch ein schöner Gedanke. Man sagt ja: Die Zeit vergeht wie im Flug, wenn man Spass hat. So war das bei mir. Ich hatte wunderbare Jahre im Tenniszirkus. Und ich werde danach noch ganz viele schöne Dinge erleben. Aber es ist schon so: Ich werde die Tour, die Tennisfamilie vermissen, wenn es so weit kommt. Doch jetzt geniesse ich es noch.
Versuchen Sie, die Gedanken ans nahende Ende von sich wegzustossen?
Nein, ich möchte diese Gedanken nicht von mir wegstossen. Sie gehören dazu, sind real. Sie sollen mich auch zum Denken anregen. Dass ich Dankbarkeit verspüre dafür, was ich alles erleben durfte. Und sie können auch eine Motivation sein. Sie können mich dazu anspornen, zu überlegen, was ich anders machen könnte, um noch länger auf der Tour zu bleiben. Es ist wichtig, sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen. Als Tennisspieler musst du deine Stärken und Schwächen kennen. Wenn du ignorant bist und denkst, du hättest keine Schwächen und seist sowieso der Beste, kommt es nicht gut. Wichtig ist, ein gesundes Selbstvertrauen zu haben. Aber du musst dich auch gut einschätzen können. Als Spieler wie als Person. Da gehören die Schwächen dazu.
Sie verpflichteten sich beim Schaukampf im chinesischen Hangzhou bis 2023. Einige interpretierten dies so, dass Sie auch bis 2023 weiter auf der Tour spielen. Stimmt das?
(lacht) Nein, logisch nicht. Ich weiss einfach, dass ich bis dann immer noch Tennis spielen kann auf einem Niveau, mit dem ich den Leuten eine Freude bereite. Aber ob ich dann immer noch auf der Tour dabei bin, keine Ahnung. Wenn ich die Profitour einmal verlasse, verlerne ich das Tennis ja nicht. Wenn ich mich zurückbesinne, wie ich 2007 mit Pete Sampras auf Schautournee ging, der schlug mich dann ja in Macao. Sampras hatte da schon fünf Jahre aufgehört, und ich war die Weltnummer 1. Irgendwann endet deine Karriere, weil du nicht mehr Woche für Woche spielen kannst. Aber einen guten Match ab und zu kannst du immer noch bringen.
Ihre Töchter Myla und Charlene sind schon zehn, Ihre Söhne Leo und Lenny fünf. Werden Sie sich Ihres Alters erst richtig bewusst, wenn Sie Ihre Kinder sehen?
Ja, es ist schon unglaublich, wie gross sie schon sind. Wie viel ich mit ihnen erleben, was ich mit ihnen schon diskutieren kann. Das zeigt mir, wie schnell das alles passiert ist. Daher ist es auch immer wieder wichtig, dass ich mich daran erinnere, mir Zeit zu nehmen für sie, nicht immer zu hetzen, nicht jedes Turnier zu spielen. Denn meine Kinder und Mirka haben für mich absolute Priorität.
Eine Tennisfrage: Obschon Sie in dieser Saison in wichtigen Momenten Ihr bestes Tennis spielten – wie im Wimbledon-Halbfinal gegen Rafael Nadal oder am ATP-Finale gegen Novak Djokovic –, holten Sie keinen grossen Titel. Wie sehen Sie diese Dualität?
Man kann nicht immer alles erklären. Manchmal läuft es einfach so. In Wimbledon fehlte nur ein Punkt. Hätte ich den geholt, hätte das alles verändert. Diese Erkenntnis lädt mich dazu ein, es nicht überzuanalysieren. Ich brachte mich in die Position, gewinnen zu können. Aber man kann sich natürlich fragen, wieso ich es nicht ganz schaffte, den Gipfel zu erklimmen. Muss ich etwas verändern? Das werde ich dieser Tage mit Ivan (Ljubicic) und Seve (Lüthi) gründlich anschauen.
Wie gehen Sie da vor?
Ich werde sie bitten, alles auf den Tisch zu legen. Es ist wichtig, dass wir total offen miteinander reden. Nur so kommen wir weiter. Ich freue mich immer auf diese Diskussionen, sie sind kapital, damit wir uns richtig verstehen, jede Art von Missverständnissen vermeiden. Wir verbringen übers Jahr so viel Zeit miteinander, dass man glaubt, den anderen zu verstehen. Aber es sind die Nuancen, die es ausmachen. Wenn sie sagen, ich müsse die Rückhand attackieren, heisst das nicht, dass ich mit jedem Schlag angreifen muss, sondern im richtigen Moment. Meine grosse Aufgabe für die Sequenz von Ende Dezember bis Anfang Januar ist, meine Coachs exakt zu verstehen, ihre taktischen Ideen zu 100 Prozent zu begreifen.
Im ersten Teil Ihrer Karriere hatten Sie bei Ihrer Rückhand die grössten Schwankungen, seit Ihrer Rückkehr 2017 nach der Knieoperation ist Ihre Vorhand inkonstanter. Wie erklären Sie sich das?
Ich sehe zwei Erklärungen. Erstens hat mir mein Wechsel auf ein grösseres Racket auf der Rückhand stark geholfen. Am offensichtlichsten ist dies, weil ich da weniger Rahmenbälle habe. Aber ich war mir auch bewusst, dass dieser Wechsel Auswirkungen auf die Vorhand haben würde. Zweitens destabilisierten meine Handprobleme vom Sommer 2018 die Vorhand. Die machten mir längere Zeit zu schaffen. Glücklicherweise geht es inzwischen viel besser, und ich habe kaum mehr Schmerzen an der Hand.
Der Wimbledon-Final 2019 hat wie jener in Melbourne 2017 Spuren hinterlassen bei Ihren Fans. Aber auf andere Weise. Wie nehmen Sie wahr, wie stark die Leute bei Ihrer Karriere mitleben?
Also (überlegt kurz), was das Australian Open betrifft, da habe ich sehr stark mitbekommen, wie das die Leute bewegt hat. Weil ich gewann und alle mit mir darüber reden wollten. Bei den Niederlagen ist es anders: Die Leute vermeiden es, mich darauf anzusprechen. Ich nehme an, weil sie bei mir nicht schlechte Erinnerungen wecken wollen, nicht wissen, wie stark ich noch darunter leide. Sie wollen nicht die Büchse der Pandora öffnen. Weil mich die Leute kaum darauf ansprechen, weiss ich auch nicht genau, wie sehr der Wimbledon-Final Spuren hinterlassen hat bei den Fans. Natürlich habe ich eine Idee, durch das Storytelling in den Medien. Aber das Ausmass kann ich nicht recht abschätzen, weil mich die Leute beschützen wollen. Natürlich war mir sofort bewusst, dass dies ein unglaublich dramatischer Final war, nur schon wegen der verpassten Matchbälle, und dass er eine Dimension annehmen würde, die übers Tennis hinausgeht. Wie Melbourne 2017 oder der Wimbledon-Final 2008 gegen Rafa (Nadal). Das sind Matchs, die lange nachhallen.
Für Ihre Stiftung besuchen Sie im südlichen Afrika oder auch in der Schweiz Familien, die nicht so privilegiert sind. Vergegenwärtigen Sie sich da manchmal, wie viel Glück Sie hatten auf Ihrem Weg?
Absolut. Gestern habe ich eine Frau getroffen, die unter ALS leidet. Die Krankheit, die auch Stephen Hawking heimgesucht hatte. Solche Begegnungen mache ich in letzter Zeit immer mehr. Die Frau konnte sich nicht mehr bewegen, schrieb mit den Augen auf einem Computer. Sie wollte mich unbedingt noch treffen. In solchen Momenten werde ich mir sehr wohl bewusst, was für ein Glück ich hatte. Es hätte auch anders laufen können. Aber man kann im Leben nur zurückblicken, die Zukunft kennt man nicht.
(SonntagsZeitung.ch)