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Wahrscheinlich meinst Du das hier aus der Welt:
28. September 2004, 00:00 Uhr
Von Stefanie Boewe
Beruf Fallobst, oder: Der König der Verlierer
Der amerikanische Profiboxer Reggie Strickland verließ 267 Mal geschlagen den Ring - und lebt davon seit 20 Jahren
Wie viele Kämpfe er bestritten und erlitten hat, weiß Reggie Strickland gar nicht so genau, aber "es waren eine ganze Menge". So viel ist sicher.
Erst vor zwei Tagen stieg der 35 Jahre alte Boxer im Festival Park von Gary in seinem Heimatbundesstaat Indiana gegen Jeff Baker (USA) zum 348. Mal als Profi in den Ring, und einmal mehr musste er sich nach Punkten geschlagen geben. 267 Mal verließ Strickland als Unterlegener die Arenen, öfter als jeder andere Berufskollege. Dem stehen lediglich 64 Siege und 17 Unentschieden gegenüber. Damit ist Supermittelgewichtler Strickland der "King of Tomato Cans", der König des Fallobstes, wie ihn die amerikanischen Boxfans nennen.
Natürlich beteuert Strickland, oft ungerecht bewertet worden zu sein. "Wenn der andere einen größeren Namen hatte, bekam er den Sieg zugesprochen, ungefähr 138 Mal", glaubt der Mann aus Indianapolis und betont: "Da gibt es allerhand Korruption." Deswegen boxt er nur noch in Bundesstaaten wie Indiana und Minnesota, in denen er sich fair behandelt fühlt.
Strickland, der zwischen April 1989 und September 1990 stolze 21 Mal in Folge verlor und seine Gesundheit mit regelmäßigen medizinischen Checks überwachen lässt, beweist einmalige Nehmerqualitäten. Lediglich 24 seiner 267 Niederlagen erlitt Strickland durch K.o. "Das war, wenn ich keine Lust hatte zu kämpfen. Da habe ich mich dann einfach fallen lassen." Der letzte K.o. liegt allerdings bereits fünf Jahre zurück, der Gegner war im Oktober 1999 immerhin Ex-Champion Charles Brewer, der elf Monate später in Magdeburg Supermittelgewichts-Weltmeister Sven Ottke unterlag. Mehrmals hat Strickland versucht aufzuhören, aber "ich bin nun mal ein Wettkampftyp". Und außerdem habe er "noch keinen Job gefunden, in dem ich dasselbe verdienen kann wie mit dem Boxen. Ich habe eine Familie zu ernähren".
Riesig sind seine Börsen nicht. Rund 1000 Dollar bekommt er nach eigenen Angaben pro Kampf, im Schnitt tritt er seit seinem Profidebüt als 15-Jähriger im Jahr 1987 einmal monatlich an. Manchmal öfter, manchmal auch unter Pseudonym. Als "Reggie Buse" hat er schon gekämpft, auch als "Reggie Raglin" ist er in den Ring gestiegen. "Wir müssen unter verschiedenen Namen kämpfen, um oft genug antreten zu können und unser Geld zu verdienen", begründet Weltergewichtler Verdell Smith die Notwendigkeit der Ersatznamen. Auch Smith alias Tommy Bowles alias Tim Brooks ist von Beruf Fallobst, sein Rekord steht bei 41 Siegen und 73 Niederlagen.
Kämpfernaturen wie Strickland und Smith sind wichtig für das Boxen. Sie sind die zähen Gegner, die im Ring die Spreu vom Weizen trennen und die Kampfbilanzen vielversprechender Talente so aufpolieren, dass diese große und lukrative Kämpfe zugesprochen bekommen. Ihre Aufgabe ist es deswegen, möglichst lange zu boxen - und dann möglichst knapp zu verlieren.
Was Smiths Manager Sean Gibbons schlicht "die Kunst des Matchmakings" nennt, ist einigen Kongressabgeordneten allerdings als mögliche Kampfabsprache ein Dorn im Auge. "Diese Masse von Boxern, die unter verschiedenen Namen alle paar Tage niedergeschlagen werden, bricht mein Herz", sagte Senator John McCain aus Arizona.
Um zumindest den Gebrauch falscher Identitäten künftig zu unterbinden, dürfen Profiboxlizenzen, die etwa Stricklands Verband "North American Boxing Council" für 20 Dollar ausstellt, neuerdings nur noch gegen Vorlage eines Lichtbildausweises ausgegeben werden. Zudem liegt dem US-Repräsentantenhaus ein Gesetzentwurf vor, der erstmals Mindeststandards im Boxen erfordern würde.
Doch noch ist das Gesetz nicht beschlossen, noch kann Reggie Strickland seine Karriere als "King of Tomato Cans" fortsetzen. Dabei befindet er sich in seiner Familie in guter Gesellschaft: Stricklands älterer Bruder Jerry, zugleich sein Trainer, erlitt zwischen 1974 und 2000 in 135 Kämpfen 122 Niederlagen - eine Familientradition, die verpflichtet.