Selbstverständlich ist er auf dem Weg nach Kitzbühel, als ihn der Anruf erreicht. Mit dem Auto auf dem Weg von Sankt Anton, wo er ein Hotel besitzt, Richtung Hahnenkamm, wo sie sich am Samstag wieder den Berg herunterstürzen. "Ich bin ja heuer Ehrengast", sagt Karl Schranz, 80 Jahre alt, Skilegende, wahrscheinlich einer der bekanntesten Menschen Österreichs. Als er 1972 wegen angeblichen Verstoßes gegen den Amateurparagrafen von den Olympischen Winterspielen in Sapporo ausgeschlossen wurde, strömten 100.000 empörte Menschen auf den Wiener Heldenplatz, um dagegen zu protestieren.
"Heuer Ehrengast" ist eine ziemliche Untertreibung, Schranz ist seit Jahrzehnten in jedem Jahr Ehrengast des Hahnenkamm-Rennens auf der Streif, schließlich hat er es viermal gewonnen. So wie so viele andere. Aber dieser eine Sieg auf der Streif vor 50 Jahren, der hat dann doch einen Sonderplatz in seinem Gedächtnis.
Es war der 18. Januar 1969, der 30-jährige Schranz war auf dem Höhepunkt seiner Popularität, eigentlich kam kein anderer als Sieger der Abfahrt in Kitzbühel infrage. Schranz jagte über die Piste, Kompression, Mausefalle, Karussell, Lärchenschuss, Hausbergkante. Alle Zeiten zeigten Bestwerte für ihn an. Aber als er unten am Zielhang ankam, sollte er am abschließenden Hausberg mehrere Sekunden verloren haben, sagt die Handzeitmessung. Er wurde nur Zweiter hinter dem Schweizer Jean-Daniel Dätwyler. Dätwyler jubelte, sein Anhang reichte ihm ein Champagnerglas, es war der größte Augenblick seiner Karriere. Schranz dagegen fühlte sich betrogen. Wieder einmal.
"Da hatte ich alles satt"
"Nicht schon wieder", habe er gedacht, erzählt er 50 Jahre später dem SPIEGEL. Ein Jahr zuvor hatte er bei den Olympischen Winterspielen in Grenoble schon über Gold im Slalom gejubelt, dann wurde er disqualifiziert, die ersehnte Medaille ging an seinen schärfsten Rivalen Jean-Claude Killy. "Als ich in Kitzbühel im Ziel stand, und es hieß, ich sei nur Zweiter, da hatte ich alles satt."
Schranz stapfte stocksauer von der Piste Richtung Hotel, aber im Ziel war ihnen der Irrtum mittlerweile aufgefallen. Also rannte der Chef der Zeitnehmer, ein junger Kerl, hinter Schranz her, um ihn zurückzuholen. Dieser Mann, der damals die Verantwortung für den Fehler hatte, war ein junger Schweizer - und hieß
Joseph Blatter. Der spätere
Fifa-Boss. Damals Repräsentant der Schweizer Uhrenfirma, die für die Zeitnahme zuständig war.
"Der Sepp ist also hinter mir hergelaufen und hat immer gerufen: 'Karl, bitte, bleib doch stehen!' Aber ich wollte nicht", sagt Schranz. Man mag sich das schöne Bild vorstellen, wie der spätere Fifa-Präsident Blatter mit vermutlich wehendem Mantel hinter dem verärgerten Skistar herläuft. "Er ist mir bis ins Hotel gefolgt." Als er ihn erreicht hatte, wollte Blatter Schranz die frohe Botschaft des Siegs überbringen "und hat mir dann noch als Wiedergutmachung eine Uhr geschenkt". Die Methode, mit Präsenten Leute zu besänftigen, hatte Blatter damals schon gelernt. "Ich habe ihm aber gesagt, er könne sich das an den Hut stecken." Erst langsam hatte sich Schranz wieder beruhigt, dann ließ er sich überreden, zur Siegerehrung zurückzukehren.
Dätwyler habe es "als fairer Sportsmann" hingenommen, dass ihm der vermeintliche Sieg wieder weggenommen wurde, sagt Schranz. Der Schweizer hat allerdings jahrelang mit diesem Tag gehadert, nie wieder ist er dem Sieg in Kitzbühel so nahgekommen.
Der Sieglauf kam ins Kino
Schranz' Sieglauf von 1969 hat es nicht nur in die Anekdotensammlung der Steif geschafft, er kam sogar ins Kino. Hollywood drehte in jenem Winter
den Film "Schussfahrt" mit Robert Redford. Wochenlang trieb sich das Filmteam an den großen Pisten herum, "die haben überall gedreht, am Lauberhorn in Wengen und natürlich auch in Kitzbühel". Redford ist er in diesem Winter mehrfach begegnet, ein Aufeinandertreffen zweier Superstars. Wer war der Größere? "Im Skifahren sicher ich, aber nur dort", sagt Schranz.
Den Film habe er sich später zusammen mit Hollywoodstar
Natalie Wood angeschaut, "der war schon sehr amerikanisch gedreht, da ging es nur um Siegen und Verlieren".
Über die Episode mit der falschen Zeitmessung habe er "später mit dem Sepp noch öfter gesprochen, und wir haben drüber gelacht". Blatter und Schranz haben schließlich nicht nur den damaligen Nachmittag auf der Streif gemeinsam, sondern auch ihre herzliche Beziehung zu
Wladimir Putin. Schranz gehörte zu den Lobbyisten, die sich für die Ausrichtung der
Winterspiele in Sotschi starkgemacht haben. Das hat ihm Putins Freundschaft eingebracht, aber auch viel Kritik.
Lieber redet Schranz darüber, wie sehr der Skisport sich verändert hat und doch der gleiche geblieben ist. "Die sind zwar heute schneller unterwegs, aber dafür hatten wir das erheblich schlechtere Material." Und gefährlicher ist die Abfahrt aus seiner Sicht auch nicht geworden. "Heute haben sie doch alle ihre Fangnetze, wir hatten damals höchstens ein paar Strohballen an der Strecke, und die waren auch noch meistens vereist." Vor allem aber ist heute die Zeitmessung zuverlässiger.
Quelle: Spiegel.de