Ist er das denn wirklich nicht? Er selbst hat ja mal vor Jahren von sich gesagt, dass er ein natürliches Konditionstalent sei, dass ihm das schon immer leicht fiel und er mit zunehmender Kampfdauer eher besser als schlechter wird. Und ich kann mich in der Tat an keinen Kampf erinnern, wo er in den hinteren Runden deutlich/merklich abbaute.
Ich halte Fury für einen Box-Nerd, für einen physischen Freak, aber ich halte ihn auch für einen Schwätzer von eigenen Gnaden. Fury macht in seinen Kämpfen regelmäßig nur soviel, dass er den Gegnern die Runden abnehmen kann. Er entzieht sich bei Gegnern, von denen physische Gefahr ausgeht (und die auch den Willen haben, diese Gefahr umzusetzen) regelmäßig dem Schlagabtausch. Er versucht den Gegner zu ziehen, ihn dann aber immer wieder im Kampfaufbau zu unterbrechen und die box-/bewegungstechnischen Fehler durch Einzelaktionen zu bestrafen. Das ist schlau, das ist ökonomisch, aber das bedeutet in keiner Weise konditionelle Stärke. Er stand gegen Cunningham einem Gegner gegenüber, der ihm technisch überlegen war, der aber nach dem Niederschlag extrem dämlich weitergeboxt hat. Es spricht für Fury, dass er die Situation analysiert hat und zu sachgerechten Ergebnissen gekommen ist. Den konditionell im tiefroten Bereich befindlichen, körperlich deutlich unterlegenen Gegner einfach zu erdrücken und dann boxerisch höchst unsauber mit den Unterarmen abzuschießen = clever!
Ebenso clever und eine herausragende Fähigkeit war es, nach den Niederschlägen durch Wilder die Ruhe und Übersicht zu behalten, in den darauf folgenden Situationen die gemachten Fehler, die zu den Niederschlägen führten zu vermeiden. Darin besteht unzweifelhaft ATG-Fähigkeit.
Aber auch dabei ist festzustellen, das Wilder es ihm nach den Niederschlagssituationen durch eigenen Fehler - wie schon Cunningham - sehr leicht gemacht hat. Bezogen auf Deine nächste Aussage ist das ein wichtiger Punkt.
Ich sehe den Faktor Kondition daher schon klar auf Seiten Furys. Während Joshua in dem Klitschko-Kampf schon krasse Ausreißer nach unten hatte konditionsmäßig ab Runde 5. Durch die zweite Luft und Ausruhen in den folgenden Runden konnte er Klitschko dann noch finishen, was natürlich auch eine Qualität ist - so zurückkommen zu können obwohl man schon aus dem letzten Loch pfiff.
Joshua hat gegen Klitschko die Taktik gewählt, Klitschkos Angriffe zu kontern bzw. in Klitschko reinzuspringen, wenn der zu nahe an Joshua dran war. Klitschkos in der Phase der Karriere bereits stark nachlassendes Distanzgefühl und das schlecht gewordene Timing haben es ihm natürlich leicht gemacht. Das wird ein Fury im Normalfall nicht tun. Interessant wäre es aber, ob Joshua die Räume eng machen kann und ob er einen überwiegend höheren Output als Fury generiert, sprich: gelingt es Joshua Fury dazu zu zwingen selbst zu agieren und den Kampf ohne brotlose Kunst führen zu müssen, weil Fury auf den Punktzetteln hinten liegt (siehe Rahmenbedingungen, mein Posting zuvor). Wenn er Fury in konditionell tiefe Wasser bekommt, dann kann er eine Situation kreieren, in der Fury sich am Ende die Deckenbeleuchtung ansieht.
Furys Taktik besteht aus Styling and Profiling mit eingestreuten einigermaßen präzisen Einzelaktionen. Darin gleicht er Haye im Schwergewicht in dessen besseren Tagen (mit dem Unterschied, dass Furys Beinarbeit wesentlich besser ist). Humorlose Punktrichter, die es schon im Wilder-Kampf gegeben hat, neigen dazu, ihm dafür trotzdem nicht die Runde zu geben. Das kann Joshuas Chance sein und dafür muss er nicht konditionell in tiefe Fahrwasser geraten. Den Kampf machen, wenn sich dies anbietet, Alibiaktionen bringen und nicht auf Furys Ziehen für ständigen Neuaufbau-Nummern reagieren, kann Fury aus der Komfortzone holen.
Zusammenfassend: Man kann einen Kampf gegen Fury intelligenter führen, als dies Klitschko und Wilder (und Cunningham etc.) getan haben - darauf muss sich Joshua und sein Team konzentrieren. Dann ist der Kampf offen.