Los geht die wilde Fahrt, auch bekannt als John Lennons patentierte große Saisonvorschau, in der alle 18 Zweitligisten ihr Fett wegkriegen.
SV Wehen Wiesbaden
Nach dem Ende der Hinrunde sprach wenig für den Aufstieg von Wehen Wiesbaden in die 2. Liga. Mit 27 Punkten und einer ausgeglichenen Bilanz von acht Siegen bei acht Niederlagen betrug der Abstand auf den Relegationsplatz satte zehn Punkte und nur die größten Optimisten hätten noch Geld auf die Mannschaft von Rüdiger Rehm, der seit dem Februar 2017 Trainer bei den Hessen ist, gesetzt. Durch eine starke Rückrunde (43 Punkte) konnte man sich aber noch auf den Relegationsplatz schieben. Dort traf man auf die favorisierten Ingolstädter, die das Auswärtsspiel in der Brita-Arena für sich entscheiden konnten. Der 1:2-Anschlußtreffer durch Kyereh in der sechsten Minute sollte für Wehen Wiesbaden aber noch wichtig werden. Im Rückspiel ging der Drittligist schnell in Führung (wieder traf Kyereh) und ließ sich auch anschließend durch den postwendenden Ausgleichstreffer durch Kerschbaumer nicht aus der Ruhe bringen. Noch vor der Halbzeit traf Dittgen und durch ein Eigentor von Paulsen ging man mit einer 3:1-Führung in die Pause. Eben jener Paulsen konnte zwar noch auf 2:3 aus Sicht der Schanzer verkürzen, aber Wehen Wiesbaden konnte das Ergebnis halten und somit den Aufstieg nach zehn Jahren Drittklassigkeit perfekt machen.
Mit Stammkeeper Markus Kolke (Hansa Rostock) und Alf Mintzel (Karriereende) haben zwei Urgesteine, die zusammen auf über 500 Spiele für Wehen Wiesbaden kommen, den Verein verlassen. Zudem stehen die drei Leihspieler Florian Hansch (inzwischen Hallescher FC), Agyemang Diawusie (FC Ingolstadt) und Niklas Schmidt nicht mehr zur Verfügung. Alle drei hätte gerne gehalten, aber das war nicht realisierbar. Insbesonders der Abgang von Niklas Schmidt wird nur schwer aufzufangen sein, war er doch einer der Leistungsträger der letzten Saison. Sein Stammverein Werder Bremen hat sich aber dafür entschieden, ihn an den VfL Osnabrück zu verleihen. Dagegen konnte man das Leihgeschäft von Gökhan Gül (Fortuna Düsseldorf) um ein Jahr verlängern. Gül, der das Bochumer Talentwerk durchlief, wurde 2017 in der Kategorie der U19-Spieler mit der Fritz-Walter-Medaille in Bronze ausgezeichnet und konnte sich, nachdem er im Winter 2019 ausgeliehen wurde, schnell einen Stammplatz im defensiven Mittelfeld sichern.
Im Tor kommt es zum Zweikampf zwischen der bisherigen Nr. 2 Lukas Watkowiak und Neuzugang Jan-Christoph Bartels, der von den Kölner Amateuren in den Taunus wechselte. Bisher kamen beide in der Vorbereitung auf ihre Einsätze und so wird wohl erst der letzte Test gegen Boavista Porto einen Hinweis darauf geben, wer als Nummer 1 in die neue Saison geht. Davor dürfte sich das Gesicht der Viererkette im Vergleich zum Vorjahr deutlich verändern, was als Reaktion auf die vergleichsweise hohe Anzahl an Gegentoren (47) anzusehen ist. Mit Benedikt Röcker kommt ein erfahrener Innenverteidiger, der die letzten drei Jahre in der dänischen Superligaen bei Bröndby gespielt hat und zeitweise sogar die Kapitätsbinde trug. Die Verpflichtung des langgewachsenen Röcker (1,97 Meter) darf daher durchaus als Coup angesehen werden. Zusammen mit der letztjährigen Stammkraft Sascha Mockenhaupt dürfte Röcker zu Saisonbeginn die Innenverteidigung bilden. Mit dem 20jährigen Kroaten Jakov Medic, der für zwei Jahre vom FC Nürnberg ausgeliehen wurde und dem erfahrenen Niklas Dams stehen zwei brauchbare Alternativen zur Verfügung. Mit Michael Guthörl (Greuther Fürth II), Tobias Mißner (Borussia Dortmund U19) und Dominik Franke (ausgeliehen von VfL Wolfsburg II) hat man gleich drei Talente für die defensive Außenbahn verpflichtet. Dort könnte auch Michel Niemeyer zum Einsatz kommen, aber der Neuzugang aus Magdeburg wird wohl eine Position weiter vorne sein Haupteinsatzgebiet haben. Paterson Chato (Lotte) gibt Trainer Rehm eine weitere Alternative für das Mittelfeld und kann im Alter von 22 schon auf über 100 Spiele in Regional- und dritter Liga zurückblicken. Chato, der in Zaire geboren ist, ist extrem flexibel einsetzbar, fühlt sich aber im zentralen Mittelfeld am wohlsten. Die starke Offensive um Schäffler (16 Tore) und Kyereh (15) konnte gehalten werden und wird mit Marvin Ajani (Hallescher FC), Phillip Tietz (Paderborn) und Cedric Euschen (Nürnberg II) sinnvoll ergänzt. Während Tietz und Euschen erstmal mit der Rolle des Ergänzungsspielers Vorlieb nehmen müssen, sollte Flügelspieler Ajani direkt Kandidat für Startelf sein.
Wehen Wiesbaden hat sich in der Rückrunde in einen Lauf gespielt und wird sicherlich auch in Liga 2 unter Rehm mutig auftreten. Die Stärken liegen eindeutig in der Offensive. 71 Saisontore sprechen eine deutliche Sprache, aber Schäffler blieb bisher den Beweis schuldig, dass er auch in Liga 2 knipsen kann. Kyereh traue ich aber auch in der zweiten Liga zu, zweistellig zu treffen. Mit Ajani, Dittgen und Shipnoski hat man zudem torgefährliche Außen, so dass man offensiv durchaus konkurrenzfähig sein sollte. Defensiv sehe ich da deutlich mehr Fragezeichen. Die Innenverteidigung sieht auf dem Papier gut aus, aber bei den Außenverteidigern eigentlich nur Rechtsverteidiger Kuhn Erfahrung mit. Der Rest macht seine ersten "richtigen" Schritte im Profigeschäft oder kam bisher nicht über die Rolle des Ergänzungsspielers hinaus (Marc Wachs). Dazu setzt man mit Watnowiak (23 Jahre alt), der praktisch zwei Jahre so gut wie keine Spielpraxis hat und Bartels auf ein sehr junges Torwartduo. Das kann klappen, kann aber auch übel in die Hose gehen. Insgesamt ist das alles zu wenig für den Klassenerhalt - Platz 18.