Die Gemüter sind doch eh in alle Richtungen aufgeheizt:
Ganz überspitzt formuliert finden die Einen, dass Tuchel einen super Job gemacht und sich nichts zu schulden kommen lassen hat - und die Anderen halten ihn für einen extremen Freak, der sämtliche Regeln der zwischenmenschlichen Kommunikation missachtet.
Und alle haben ihre Infos einzig und allein aus den Medien oder interpretieren Aussagen der Beteiligten.
Wahrscheinlich aber ist: wenn jemand wie Schmelzer, der sich nur selten positioniert, den Mund aufmacht und ein so eindeutiges Statement setzt, ist irgendwas vorgefallen zwischen Trainer und Mannschaft. Ich kann auch nur raten und interpretieren und für mich sieht es im Gesamtbild einfach so aus, als hätte Tuchel arge Schwierigkeiten, der Mannschaft die Sinnhaftigkeit seines Handelns zu verkaufen. Ob das die mehrfachen Formationswechsel während des Spiels sind, die seltsamen Spielernominierungen oder seine generellen taktischen Vorstellungen.
Jetzt kann man sicherlich hinterfragen, ob das notwendig ist oder ob die Spieler einfach die Anweisungen des Trainers zu befolgen haben, aber aus eigener Erfahrung als Trainer kann ich sagen: letzteres funktioniert nicht. Maximal noch bei jungen Spielern, die froh sind, überhaupt Einsatzzeiten zu bekommen und dafür fast alles tun. Aber wenn du gestandene, mündige Spieler hast, die schon einiges gesehen haben, dann kommst du nicht umhin, diese mit ins Boot zu holen.
Dafür würden dann auch die Gerüchte sprechen, dass Spieler wie Dembele, Pulisic oder Ginter wenig Probleme mit Tuchel haben.
Was die Leistung von Tuchel als Taktiker und Spielerentwickler angeht, will ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Ich bin kein Fan des Tuchel-Fußballs, weil mir das zu viel Quergeschiebe und Ballzirkulation ist. Ich habe und werde immer den Pass in die Spitze dem Pass parallel zur Mittellinie vorziehen, auch wenn die Passgenauigkeit dann statt bei 95% nur bei 70% liegt. Aber die Ergebnisse der letzten Saison sprechen für Tuchel. In dieser Saison muss man einfach froh sein, dass alle anderen CL-Kandidaten (Leverkusen, Schalke, Gladbach, Wolfsburg) massiv geschwächelt haben. Wenn ich mir Hoffenheim ansehe, wüsste ich nicht, wo die auch nur annähernd so gut besetzt sein sollen wie der BVB und trotzdem musste man bis zum Ende zittern um Platz 3. Dazu kommt, dass die Defensive ein absoluter Hühnerhaufen war und das darf einfach nicht sein für eine Spitzenmannschaft.
Wir werden wohl erst in der nächsten Saison wissen, wie gut oder schlecht Tuchel war. Aber wahrscheinlich finden beide Seiten letztlich wieder Argumente:
Spielt der BVB eine bessere Saison, liegt es am ausgeglicheneren Kader (nur mal am Rande: ich sage voraus, dass weder Dahoud noch Toprak nächste Saison dauerhaft zur ersten 11 gehören). Spielt der BVB eine schlechtere Saison, liegt es daran, dass sich die Mannschaft erstmal auf das neue Spielsystem und den neuten Trainer einstellen muss.
Im Endeffekt kommst du aber nicht drumrum, den Trainer zu entlassen, wenn es wirklich so sein sollte, wie ich oben geschrieben habe. Denn Tuchel sieht sich scheinbar im Recht und sein Verhalten als absolut korrekt an. Ich bin gespannt, wie es bei seiner nächsten Trainerstation aussieht und ob man dort nach 1,2 Jahren dieselben Themen wieder aufmacht.