Manchmal hat man Pech, manchmal hat man Glück.
Klar war es für Verstappen Pech, dass er im Q2 im finalen Durchgang seine erste fliegende Runde abbricht, nachdem er am Ende seiner Outlap überholt wird.
Klar war es für Verstappen Pech, dass er dann einen Ticken hinter Stroll unterwegs ist und sich somit nicht mehr verbessern kann, während die anderen ihre Runden fertig fahren dürfen.
Verschwörungstheoretiker mögen behaupten, dass die Rennleitung die Spannung so künstlich erhöhen wollte ... aber dafür spielt da zu viel Zufall mit. Denn auf der anderen Seite hätte man bei einer früheren roten Flagge berechtigt monieren dürfen, dass den Fahrern vor Stroll so die Möglichkeit genommen worden wäre, ihre Runden zuende zu fahren, obgleich sie die Unfallstelle garnicht mehr vor sich hatten.
Nunja, im Rennen lief es für Verstappen super. Das war beinahe zu erwarten, oder sagen wir mal besser, er hat 2016 in Interlagos eine gewisse Erwartungshaltung für kommende Regenrennen geschaffen, auch wenn es schon Situationen gab, in denen Verstappen ein Regenrennen verpatzt hat (Türkei 2020 fällt mir da grad ein).
Beim Start kam Bearman kaum von der Stelle, Colapinto wirkte nach dem ersten Startprozedere irgendwie immer noch leicht verwirrt, Bottas ist hinter Hamilton eingeklemmt, Perez winkt ihn artig vorbei, Stroll und Albon haben sich vorher schon verabschiedet. Zack 6 Plätze gutgemacht.
Hamilton rätselt wo der Grip ist, er und Gasly haben in Kurve 1 deutlich weniger Vertrauen in die Bremse als Verstappen. 8 Plätze.
Alonso hat Übersteuern in Kurve 3 und ist eine Runde später gefressen. 9 Plätze.
Top Speed ist nicht des McLarens Ding dieses Rennen - weil man die Mexiko-Flügel drangeschraubt hat - so dass Verstappen auch gegen Piastri in Kurve 1 vorbei zieht. 10 Plätze.
Hinter Lawson winkt er mit ein paar Schlangenlinien, so dass schon bald im Schwesterteam der artige Funkspruch eingeht und Lawson ihn brav vorbei winkt (anders als später Perez). 11 Plätze.
Erst an Leclerc beißt sich Verstappen die Zähne aus. Der macht zwar - wie im Sprint - dann und wann mal einen kleinen Patzer, lässt sich aber in Kurve 1 nicht vernaschen wie z.B. Hamilton und Piastri.
Ferrari kommt auf die Idee, Leclerc neue Intermediates zu geben, so dass er hinter Bearman und Hamilton im Verkehr steckt. Nicht die beste Idee. Verstappen hat 12 Plätze gutgemacht.
Hülkenberg ist etwas unaufmerksam und kommt am Ende der Bremsphase auf die weiße Linie und dreht sich ... und bleibt unglücklich mit dem Unterboden hängen.
Mercedes und McLaren entscheiden sich für neue Intermediates, doch Hülkenberg kriegt einen Schubser von den Marshalls und kann weiter fahren. Das VSC endet genau dann als die beiden in die Box kommen ... sie haben da also keine Zeitersparnis und rutschen auch hinter Gasly zurück. 14 Plätze.
Tsunoda und Perez fahren angesichts des Regenradars auf Full Wets aus der Box raus. Verstappen hat 15 Plätze gewonnen.
Der Regen nimmt stark zu. Die Rundenzeiten von Ocon und Verstappen an der Spitze steigen von 1:24 zu 1:50.
Eine Runde später ist Ocon 5 Sekunden schneller als Verstappen und zieht davon, nachdem sie beide vor Tsunodas Boxenstop noch nahe beieinander waren.
Eine weitere Runde später nimmt der Regen in Sektor 1 stark zu. Ocon und Verstappen sind nun wieder gut 5 Sekunden langsamer als in der Runde zuvor. Norris zieht an Russell vorbei ... ich glaube das einzige Mal, dass ein McLaren in dem Rennen auf einer Geraden schneller ist als die Konkurrenz.
Der Regen ist kein großes Problem für Perez und Tsunoda. Sie sind deutlich schneller, der Full Wet ist jetzt der richtige Reifen.
Doch die Rennleitung entscheidet sich für das Safety Car.
Warum? Mit den Full Wets kann man doch gut durchkommen. Müssen die Teams selber wissen, wenn sie unbedingt auf den Intermediates bleiben wollen, weil sie auf eine rote Flagge hoffen.
Das erinnert mich an ein Brasilien-Rennen vor einigen Jahren als Barrichello (damals im Williams) im Regen nach der Roten Flagge verlangt ... während er auf Intermediates fährt.
Ich kann die Entscheidung schwerlich verstehen. Dadurch, dass man das Feld so zusammenbringt, sorgt man doch eher dafür dass die Gischt nach einem etwaigen Restart wieder mehr zum Problem wird. Tsunoda, Lawson und Perez werden so quasi dafür bestraft, dass sie etwas richtig gemacht haben.
Die Alpine und Verstappen bleiben draußen. Mit älteren Intermediates haben sie einen Nachteil, wenn Russell und Norris an sie rangeführt werden.
Doch Colapinto tut ihnen einen Gefallen und schmeißt seinen Boliden in die Wand. Er sichert Verstappen und Gasly so den Gewinn von 4 Plätzen, nachdem Tsunoda, Leclerc, Russell und Norris somit ihre frischeren Reifen nicht nutzen können.
Die Rennunterbrechung dauert dann auch so lange, dass die Drainage genug Zeit hat zu wirken ... soll heißen Tsunoda hat dann auch wieder Inters drauf.
Ocon behält die Führung und fährt wieder einen Vorsprung von 4 Sekunden auf Verstappen raus ... bis Sainz dann in die Mauer fährt und erneut ein SafetyCar ihm seinen Vorsprung auf den Red Bull nimmt.
Beim nächsten Restart packt Verstappen zum 4ten Mal sein Bremsmanöver in Kurve 1 aus. Diesmal hängt er Ocon ab, welcher selbst nichts mehr anbrennen lassen will.
Die Strecke trocknet etwas mehr (die Zeiten sinken auf 1:22). Verstappen ist bei den Konditionen nun der schnellste auf der Strecke ... und hat freie Fahrt.
Am Ende kann man rätseln. Hat Norris Recht, dass Verstappen Glück hatte?
Teilweise, aber nur teilweise. Klar hatte er Glück, dass Hülkenberg auf die Strecke geschubst wurde, so dass Norris und Russell trotz 18 Sekunden Vorsprung auf Verstappen nach ihrem Boxenstop hinter ihm rauskamen. Das wäre nicht der Fall gewesen, wenn das VSC etwas länger gelaufen wäre.
Die Alpine-Truppe war zu diesem Zeitpunkt schon mit 16 Reifen nach draußen unterwegs, weil man beide Fahrer reinholen wollte ... aber noch nicht wusste für welche Mischung. Mit dem VSC-Ende ließ man es dann, um nicht wie Leclerc im Pulk zu stecken.
Klar hatte Verstappen - wie auch Ocon und Gasly - Glück, dass Colapinto für eine rote Flagge sorgte, so dass die anderen nicht ihre frischeren Reifen nutzen konnten, sondern dass die 3 so auch mehrere Plätze gewannen (Ocon 3 Stück, Verstappen und Gasly 4 Stück).
Klar hatte Verstappen auch Glück, dass Ocon durch 2 SafetyCars zusammen mehr als 12 Sekunden auf Verstappen einbüßte, die er vorher rausgefahren hatte.
Aber letztlich hat Verstappen sich den Sieg auch mit erarbeitet.
Bearman, Colapinto und Bottas hat er beim Start stehen lassen.
Hamilton, Alonso, Gasly, Piastri und Ocon hat er durch grundsolide Manöver geknackt.
Ein paar Platzgewinne erzielte Verstappen ohne großes eigenes Zutun (Albon, Stroll, Perez, Lawson, Tsunoda, Leclerc, Norris, Russell).
Also am Ende hat Norris vielleicht zur Hälfte recht. Denn von den 16 Platzgewinnen hat Verstappen 8 überholt ... und 8 Mal musste er sich gewissermaßen weniger anstrengen. ;-)
Angesichts dessen, dass Verstappen am Ende der schnellste im Feld war (zunächst war nur Ocon in der Lage ebenfalls 1:22ger Zeiten zu fahren) kann man sich fragen, ob er auch ohne die Portion Glück sich an Leclerc, Tsunoda, Norris, Russell und Ocon vorbei gearbeitet hätte.
Aber da kann man nur mutmaßen.
Letztlich hat Verstappen einen großen Schritt zum vierten Titel gemacht und so ausgiebig gejubelt, wie er lange nicht mehr über einen Sieg gejubelt hat. Umrahmt von Ocon und Gasly, welche aus dem Strahlen auch nicht rauskamen.
Angesichts dessen, dass Ocon schon im Qualifying stark performed hat, ist er für mich gar der Mann des Rennens. Wer hätte nach Bahrain und Jeddah gedacht, dass später in der Saison bei drei Qualifyings in Folge ein oder zwei Red Bull hinter einem Alpine landen? Wer hätte damals gedacht, dass Ocon und Gasly später im Jahr so ein Rennen aus dem Hut zaubern?
Norris kann sich am Ende halt nur ärgern. Die McLaren-Strategie ist nicht aufgegangen. Das Setup mit viel Flügel war vielleicht gut für die Rennpace und die Haltbarkeit der Reifen ... aber das nützt halt wenig, wenn man dann die ganze Zeit hinter Russell, Lawson und Leclerc feststeckt.
Da kommt es dann halt auch leichter dazu, dass man versucht die Brechstange auszupacken und über das Ziel hinausschießt und abseits der Strecke gerät ... oder sich für eine Kollision eine Strafe einfängt.
Der Full Wet war zu dem Zeitpunkt 5 Sekunden schneller als der Inter, Tsunoda hätte in ein paar Runden die Führung übernommen. Die Fahrer und Teams sind nur der Meinung, wir warten lieber auf die 100% kommende rote Flagge, anstatt einen Boxenstopp zu machen.
Nein, Tsunoda war im ersten Sektor 4 Sekunden, im zweiten Sektor 4 Sekunden und im dritten Sektor 3 Sekunden schneller als die Piloten vor ihm (Ocon, Verstappen, Gasly, Russell, Leclerc).
Er war in dem Moment der mit Abstand schnellste Pilot im Feld, weil Perez bereits auf Sainz auflief.
Dass Tsunoda seinen Vordermännern mal eben innerhalb von 2 Minuten 11 Sekunden abnahm nütze ihm halt nur begrenzt viel, denn die drei besagten Sektoren fuhr er nach seinem Boxenstop nur einmal im Rennspeed, bis dann das SafetyCar gerufen wurde, als er gerade in den zweiten Sektor kam.
Tsunodas Reifenwahl wäre in den folgenden Runden wohl noch überlegener gewesen ... wenn dann die ohne Heizdecken auskommenden Full Wets auf Temperatur sind.
Man muss aber sagen dass Norris bei aller Unfähigkeit heute in guter Gesellschaft ist was Hochkaräter neben der Strecke angeht. Sainz crash, Hamilton neben der Strecke, Alonso jetzt auch.
Die Zahl der Fahrer die heuer nicht irgendwann im Verlaufe des Rennens durch einen Ausritt oder großen Rutscher oder ähnliches aufgefallen sind, kann man - glaube ich - an einer Hand abzählen.
Verstappen, Ocon, Gasly, Russell und Tsunoda waren afaik die einzigen, die nicht irgendwann n Patzer drinhatten.
Manch Veteran (z.B. Hamilton, Alonso, Perez) guckte sich ab und an die Rasenhöhe an. Leclerc streute - wie im Sprint - hier und da kleine Fehler ein. Bearman sorgte - glaube ich - neben Verstappen für die meisten Überholmanöver, hatte aber auch so manch Ausritte. Norris, Piastri und Lawson hatten dann und wann auch ihre "Momente".
Sowohl jüngere als auch erfahrene Piloten patzen im Regen in Interlagos schon mal.
Alonso und Schumacher wurde damals nach 2003 von Charlie Whiting auf die Finger geklopft.
Alonso, weil er durch den Teamfunk über die Reifenwahl abgelenkt war und in das Webber-Trümmerfeld raste.
Schumacher, weil er bei gelben Flaggen in Kurve 3 abflog, wo gerade Marshalls und ein Bergungskran dabei sind, einen anderen Boliden zu bergen. Hat dann aber noch mehr als 10 Jahre gedauert, dass jemand bei Gelb im Regen in einer Unfallstelle abfliegt nicht nur etwas Whinting-Schimpfe bekommt, sondern in den Kran selbst kracht ... so dass im Nachgang das VSC erdacht wird.