Zum Jahresabschluss habe ich in der vergangenen Woche noch einmal einen neuen Länderpunkt eingesammelt, da ich bis dato tatsächlich noch nie in Italien ein Fußballspiel gesehen hatte. Es war recht schnell klar, dass ich möglichst zügig mal nach Italien kommen wollte, bzw. explizit vor allem möglichst zügig nach Mailand. Denn wie sicherlich der eine oder andere mitgekriegt hat, soll das San Siro in naher Zukunft abgerissen werden, direkt daneben ein Neubau stattfinden. Der genaue Zeitplan ist zwar noch unbekannt, aber letztendlich galt auch für mich, besser haben als brauchen. Wann ich es sonst durch verschiedene Verpflichtungen mal nach Mailand schaffe war gänzlich unklar, da passte der Spieltag am vergangenen Dienstag und Mittwoch sehr gut - auch wenn man coronabedingt natürlich phasenweise etwas zwiegespalten war, weil auch in Italien die Zahlen mittlerweile doch wieder ansteigen, nachdem das Land in den vergangenen Monaten ziemlich gut da stand. Ich konnte es dann aber unterm Mehrfachen Testen und vorhandenem Booster doch sehr gut mit mir vereinbaren. Letzten Endes konnte ich zudem neben dem San Siro relativ unverhofft und kurzfristig einen absoluten Knaller abhaken, weshalb die Sehnsucht, zu fahren, doch ohnehin sehr groß war.
Pro Sesto 1913 - AS Giana Erminio 1:1
Gemeinsam mit einem guten Kumpel ging es Dienstag in der Früh von Köln nach Bergamo. Wir hatten kein großes Sightseeing geplant, die 48 Stunden in Italien standen wirklich absolut im Zeichen des Fußballs, es sollten vier Spiele werden. Mit dem Mietwagen ging es zunächst aber noch einmal nach Monza, wo wir an die Formel1-Rennstrecke liefen, allerdings mangels Zeit und Lust nicht wirklich alles auf uns wirken ließen. Es war ehrlich gesagt auch herzlich unspektakulär und mein Interesse an der Formel1 ist seit 15 Jahren quasi nicht mehr existent.
Das erste Spiel der Reise war am Dienstag um 14.30 Uhr der Drittliga-Knaller zwischen Pro Sesto 1913 und AS Giana Erminio. Dementsprechend fiel dort auch der Länderpunkt - mit dem mit Abstand unspektakulärsten Spiel der Kurzreise, aber das war mir dann herzlich egal, auf die Spielplanchronologie nehme ich dabei wenig Rücksicht. Die italienische dritte Liga ist in drei Staffeln aufgeteilt, dazu war das Spiel Vorletzter gegen Letzter. Ein wahres Spektakel also im Norden Mailands in der Stadt Sesto di Giovanni. Das Spiel war dementsprechend dann auch ganz übles Gebolze, welches letztlich 1:1 endete. Der Ground ging grundsätzlich aber klar (für Interessierte ->
https://www.europlan-online.de/stadio-ernesto-breda/stadion-26271.html). Etwas Flair versprühte allerdings der Rechtsverteidiger der Hausherren mit dem illustren Namen Christian Maldini. An die Karriere seines Vaters Paolo oder Großvaters Cesare kommt der allerdings eher nicht ran, er hat auch echt ein furchtbares Spiel abgeliefert
Juventus Turin - Cagliari Calcio 2:0
Weil es die Spielplan-Gestaltung gut mit uns meinte, konnten wir noch am Dienstagabend ein Serie-A-Spiel mitnehmen und so entschieden wir uns für die rund 90-minütige Fahrt zum Spiel zwischen Juventus Turin und Cagliari Calcio. Und ich muss sagen, das war tatsächlich eine unglaublich triste Veranstaltung. Zuschauerzahl: 11.197! Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, es gab jetzt keine mir bekannten drakonischen Corona-Maßnahmen, die dafür sorgten, dass nur eine bestimmte Zahl an Leuten ins Stadion durfte. Ein Trauerspiel. Draußen war am neuen Juve-Komplex alles auf Hochglanz poliert, dafür war die Aufgabe, den richtigen Eingang zu finden, alles andere als einfach. Selten so etwas dermaßen kompliziertes gesehen, wir waren um 19.15 Uhr am Stadion, im Stadion waren wir um 20.25 Uhr. Das hat jetzt nicht nur mit der Handhabe vor Ort zu tun, wir haben uns auch nicht immer besonders clever angestellt, aber die ganzen Umstände sorgten echt dafür, dass man schon beim Betreten des Allianz Stadiums stockgenervt war und mir persönlich der Rahmen durchaus zuwider war. Und das wurde dann im Stadion auch nicht wirklich besser. Wie gesagt, miserable Zuschauerzahl, Stimmung war bescheiden. Es kam zwischendurch aus der Kurve mal was rüber, aber das dann auch immer nur sporadisch. Juve gewann recht glanzlos, aber verdient mit 2:0 durch Treffer von Kean und Bernadeschi. Im Endeffekt bin ich natürlich froh, mal bei Juve gewesen zu sein, immerhin wächst man mit diesem Klub ja auch auf und erfährt durchaus auch seine fußballerische Sozialisation. Aber das Erlebnis hat mir wirklich erreicht, meinetwegen sollen sie sich in ihre Super League verabschieden und ab dafür. Ganz, ganz komisches Gefühl. Nach dem Spiel ging es zurück nach Mailand, für ein paar Stunden in die Koje und am nächsten Morgen wieder hoch.
USD Alcione - GS Bagnolese 1:0
Zumindest kurzzeitig wollten wir mal durch die Mailänder Innenstadt, um mal eben den Dom zu sehen und ein paar andere Sehenswürdigkeiten. Immerhin stand um 14:30 Uhr ein wahres Spektakel an - und zwar gar nicht weit entfernt von der Innenstadt. War ganz schick auf dem Domplatz und drumzu, ins ganz große Weihnachtsgetümmel wollten wir uns aber auch coronabedingt nicht zwingend stürzen. Stattdessen gab es ne hervorragende Pizza, ehe es gegen 13.30 Uhr zur Arena Civica ging.
Arena Civica (mittlerweile Arena Civica Gianni Brera)? Nie gehört? Zu meiner Schande muss ich gestehen: Ich bis vor zweieinhalb Wochen auch nicht. Bei der Suche nach Spielen tagsüber vor dem Hauptziel San Siro schaute ich mir mal Bilder von potentiellen Spielorten an und blieb plötzlich bei eben diesem Stadion hängen. Die Arena Civica steht mitten in Mailand, sie wurde 1805 auf Geheiß von einem gewissen Napoleon erbaut und 1807 als Amphitheater eröffnet - übrigens auch unter den Augen Napoleons. Dort fanden im 19. Jahrhundert Darstellungen von antiken Seeschlachten, pyrotechnische Spiele oder auch Pferderennen statt. Im 2. Weltkrieg war die Arena zwischenzeitlich Spielort von Inter und Milan, hier wurden bereits zahlreiche Leichtathletik-Weltrekorde aufgestellt und auch der Giro d'Italia endete schon hier. Auch das erste Länderspiel der italienischen Nationalmannschaft fand hier statt. In den vergangenen Jahren gab es hier allerdings längst keinen geregelten Spielbetrieb mehr - bis Anfang Dezember. Seitdem zockt der italienische Viertligist USD Alcione seine Heimspiele in dieser altehrwürdigen Schüssel, die offiziell 10.000 Zuschauer fasst. Ich kenne keine exakt überprüfbare Quelle, aber es heißt, dass die Arena Civica das älteste Stadion der Welt sein soll, in dem Fußball gespielt wird. Mehr Historie geht nicht.
Das Ding sah von Außen schon einfach sensationell aus, aber von innen ist es einfach eine absolute Wucht. Absolut einzigartig, in so einem Ambiente habe ich definitiv noch niemals Fußball gesehen. Leider war nur die eine Seite des Ovals zugänglich, nichtsdestotrotz waren wir (und auch die geschätzt 30 weiteren Hopper, vorrangig deutschsprachig) vor Ort absolut geflasht (insgesamt waren es maximal 100 Zuschauer vor Ort). Man kann es eigentlich gar nicht vernünftig wiedergeben, ich empfehle einfach, mal selbst die Bilder anzusehen ->
https://www.europlan-online.de/arena-civica-gianni-brera/stadion-19714.html. Das Spiel endete 1:0, war aber natürlich herzlich egal, weil man größtenteils es einfach nur genoss, da drin zu sitzen bei strahlendem Sonnenschein.
Inter Mailand - FC Turin 1:0
Wenig überraschend war ein Großteil der Besucher des Spiels am Nachmittag zwei Stunden später dann auch am Giuseppe-Meazza-Stadion zu finden. Das San Siro stand ewig bei mir auf der Liste, es sollte schließlich endlich klappen. Die Hütte dürfte unzweifelhaft zu den wichtigsten und größten drei, vier, fünf Tempeln des europäischen Fußballs gehören. Leider war es am Abend sehr neblig, so dass die Wucht des Bauwerks von Außen nicht so perfekt erkennbar war, es sah dennoch schon beeindruckend aus. Als ich drin war, dachte ich echt, mich trifft der Schlag. Dieses riesige Teil mit seinen drei Rängen komplett aus Sitzplätzen bestehend wirkt einfach derart gigantisch. Klar, die Zuschauerzahl in Dortmund ist ähnlich groß, dennoch wirkte das GMS für mich einfach nochmal deutlich imposanter. Wir hatten Plätze mit perfektem Blick auf die Curva Nord von Inter. Und im Gegensatz zu Juve am Tag davor, hingen schon weit vor Anpfiff unzählige Banner und Zaunfahnen in der Kurve, riesige Fahnen wurden geschwenkt, es wirkte einfach wie echte Fußball-Atmosphäre. Und dann hat die Kurve auch brachial starken Support abgeliefert, das war schon echt richtig, richtig geil. Während mich bei Juve am Vortag quasi alles genervt hat, haben mich die Umstände bei Inter komplett abgeholt. Klar, da tut auch das Stadion sein Übriges, wenn Inter schon im recht seelenlosen Neubau zocken würde, wäre es wahrscheinlich auch längst nicht dieses Gefühl, aber ich rede ja auch explizit von den Tifosi im und ums Stadion. Es waren etwas mehr als 40.000 Zuschauer vor Ort, Inter gewann gegen Torino FC (vll 150-200 Gäste) auch recht glanzlos mit 1:0. Die zweite Hälfte war leider sportlich relativ ereignisarm, zudem war es unfassbar kalt. Aber das war die Tour definitiv wert und einen besseren Doppler als den am vergangenen Mittwoch habe ich wahrscheinlich noch nie gemacht und werde ich womöglich auch nie mehr machen.