So, jetzt erst gesehen. Schönes historisches Ding, Schwergewicht nun nach Jahren der Vakanz mit einer klaren Nummer eins. Brutale Ringintelligenz, natürliche (nun wirklich nicht aufgepumte
) Physis, Bewegungswunder, enorme Übersicht, hochintelligenter Psychokrieger, durchaus harter Puncher. Schwächen im Grunde nur eigene psychische Volatilität und vielleicht mangelnde Schlagpräzision, was aber eben auch mit der eigenen extremen Beweglichkeit zu tun hat. Recht irres Gesamtpaket. Fand Fury immer gut, habe ihn aber falsch eingeordnet infolge des Klitschko-Kampfes als schlauen Stinker, der dir die Runden stiehlt und einfach schwer zu treffen ist.
Aber nichts da, das war die beste Heavyweight title fight performance seit Lewis-Holyfield I&I in '99, und dieses Mal mit klarem Sieger. Das Brillante an dem Kampf heute Nacht ist die taktische Herangehensweise - das war ein kontraintuitives Meisterwerk (apologies für den Ausdruck, ich kann es nicht anders ausdrücken). Er hat mit Wilder eine Art autistischen Savant geboxt, ein völliges Unikum in der Boxgeschichte, vermutlich der härteste und zugleich präziseste Puncher der Schwergewichtsgeschichte. Und jeder Trainer wird intuitiv die eigene Taktik an diese Gefahr anpassen, zumal Wilder genau das und sonst nichts richtig gut kann. Aber genau mit dieser Anpassung liefen alle ins Verderben, da man automatisch mit Vorsicht vor Wilders Rechten genau den Kampf kämpfte, den dieser brauchte, um seine Rchte zu kalibrieren. Und dann kam sie irgendwann tödlich, auch nach vielen verlorenen Runden wie bei Ortiz II. Und Fury dreht das Ding um, macht genau was er gesagt hat und was er nach dem Niederschlag im ersten Kampf gelernt zu haben glaubte. Offensiver Kampfstil, viel Feinting, ein klasse Jab dieses Mal (schon in der 1.!), nahm Wilder die richtige Distanz für seine Rechte, die körperliche Überlegenheit ausgenutzt (die Spindelbeine Wilders werden da zu einem Problem, der unglaublich parteiische Ringrichter hat die Taktik massiv behindert, aber es wirkte trotz dieses Manipulationsversuchs), und auch - gegen meine Erwartung - viel zum Körper. Der hat Wilder richtig auseinander geschraubt, die Trommelfellgeschichte ist bitter für den Ami, aber im Grunde wirklich zweitrangig, gibt Wilder eher noch ein Narrativ, das schooling irgendwie zu entschuldigen. Dritter Kampf irgendwann später vielleicht, aber angesichts der Einseitigkeit dieses Mal eigentlich unnötig. Wilders Comeback dürfte sehr schwierig werden, ist irgendwie entzaubert und die nächsten glaubwürdigen Gegner werden Furys Stil von gestern kopieren. Ihm fehlen letztlich die boxerischen Mittel, um ohne den eigenen Mythos gewinnen zu können. Respekt aber vor seinem Kampfeswillen.
Furys Gequatsche hassen ja viele und ich kann das nachvollziehen. Mir geht er auch viel zu häufig über die Linie, aber der hat unglaubliche Entertainerqualitäten, das kann man nicht bestreiten. Die ganze Gypsy King-Geschichte finde ich urwitzig und es ist etwas Ureuropäisches (und historische Interessantes) - das ist DIE europäische Community mit der stärksten Verbindung zum Boxen, wirklich sehenswert in seiner Verrücktheit ist Knuckle:
) und eine für mich hochwillkommene Alternative zu den sich ewig wiederholenden Slumgeschichten afroamerikanischer Boxer. Der Typ ist hochintelligent, in der fast unschaubaren da fremdschämlastigen ITV home story streitet er mit seiner Frau darüber, ob die Kinder auch nur rudimentäre Schulbildung erhalten sollen (Tyson will sie bilden, seine Frau will ungebildete Travellers heranziehen). Im Grunde - steinigt mich - ist der von seinen rhetorischen Qualitäten das europäische Gegenstück zu Cassius Clay/Ali. Die Radiointerviews mit ihm sind hochinteressant, er mischt da Beobachtungen der zeitgenössischen Realitäten mit der Boxhistorie in einer urwitzigen Art, unglaublich schlagfertig. Der ist auch in dieser Hinsicht ein natural.
Sorry für die lange Ausführung, ich bin einfach angetan. Also Prognose: klar, ein AJ hat immer eine puncher's chance, aber das wird zu 90% Fury gewinnen. Der wird die Division beherrschen, für die nächsten vier Jahre, bis der Kasache dann so weit ist. Great times ahead.