Hamilton wollten ja eigentlich zunächst deutlich früher reinkommen. Er hatte vorgeschlagen Perez mit einem Undercut zu schlagen ... aber das Team zögerte noch etwas, weil man drüber nachdachte, dass man vielleicht so weit durchfahren kann, bis die Strecke mit Slicks befahrbar ist. Vor ein paar Jahren mit Hypersofts (wie Hamilton damals in Hockenheim, wenn ich mich recht erinnere) wäre das vielleicht noch gegangen.
Diesmal ergab sich das nicht und das Thema "Perez-Undercut" war dann auch erledigt, als der RB in die Box abbog.
Der ursprüngliche Call, Hamilton reinzuholen, kam eigentlich zu recht passender Zeit ... man war halt nicht in der Lage Hamilton deutlich genug klar zu machen, dass er besser reinkommen sollte.
Nachdem Perez direkt vor Hamilton in die Box einbog diskutierte man mehrere Runden lang über die Reifen. Hamilton erklärte, dass es schwer sei Reifen im Temperaturfenster zu behalten. Mercedes berichtete ihm die Rundenzeiten von Bottas und Verstappen (auf neuen Reifen). Man erzählte ihm davon, dass es danach aussehe, dass Leclerc versuche durchzufahren und man nannte ihm dessen Rundenzeiten.
Hamilton war sich relativ sicher, dass er auf den Reifen durchfahren könne. Wäre dem so gewesen, hätte er natürlich ein feines Näschen gehabt und das passende Gespür für die Reifen während (fast) alle anderen alt ausgesehen hätten.
Doch Hamiltons Reifen hätten womöglich auch deutlich abgebaut.
In Runde 42 wollte man ihn reinholen. Das war ein Zeitpunkt, als die neuen Intermediates geringfügig schneller waren als die alten Reifen ... weswegen ein Boxenstop nicht unbedingt nötig aussah.
Schließlich will man ja innerhalb der noch gut 15 verbleibenden Runden dann auch die mehr als 20 Sekunden reinholen, die man bei einem Boxenstop verliert.
Dennoch ... der ursprüngliche Zeitpunkt zu dem man Hamilton reinholen wollte, war immernoch ok, damit man um das Podium kämpfen kann.
Dass man sich von Hamilton umstimmen ließ, es noch länger zu probieren (bevor das Fenster zu Gasly sich drohte zu schließen) ... das ist wenn dann der Mangel der "Form" der Mercedes-Strategieabteilung.
Mit Verlaub ... aber ... Mercedes
IST doch das Risiko eingegangen.
Kein Risiko einzugehen hätte bedeutet, dass man Hamilton in Runde 42/43 nicht nur einmal auffordert in die Box zu kommen, sondern dass man ihm mit Nachdruck klarmacht, dass er in die Box kommen müsse.
Stattdessen diskutiert man noch eine Weile hin und her. Das ist durchaus legitim ... schließlich hat der Fahrer das direkte Gespür dafür, wieviel Performance in seinen Reifen drin ist und kann die Strecke einschätzen. Aber es ist ein gewisses Risiko, dass sich dies falsch ausgeht.
Wäre Hamilton nach der ersten Aufforderung in Runde 42 in die Box gekommen, dann wäre er hinter Perez rausgekommen, der seinen Abstand zu Hamilton nach seinem Boxenstop etwa 2-3 Sekunden verkleinert hatte.
Platz 5 wäre safe gewesen und tatsächlich wäre Platz 4 wohl rausgesprungen, weil Leclerc zu spät zum Boxenstop kam (was man vorher natürlich nicht weiß).
Eventuell hätte Hamilton auch noch Perez schnappen können ... er war ja im ersten Stint schon schneller, als zwischen ihm und Perez dann weniger Boliden lagen.
Doch man
GING DAS RISIKO Hamilton weiter draußen zu lassen und ihn noch eine Weile probieren zu lassen, um zu schauen, ob es sich vielleicht ausgehen könnte, ohne Boxenstop durchzufahren, oder ob die Strecke vielleicht mit Slicks befahrbar werden würde.
Ab Runde 47 kam der Moment, an dem Hamiltons Reifen beim Zeitabstand erkennbar nachließen. Die anderen Piloten wurden indes schneller.
Zunächst fuhr Hamilton anderthalb Sekunden langsamer als Perez, die Runde vor seinem Boxenstop waren es zwei Sekunden.
Da hatte man dann ein Einsehen, dass sich das Risiko nicht ausgeht bzw.
schon nicht mehr ausgegangen war. Spätestens 5 Runden später wäre Perez an Hamilton vorbei geflogen ... wenn dessen Reifen nicht noch stärker eingebrochen wären.
Zu dem Zeitpunkt war für Mercedes klar, dass die Reifen nun zu sehr abbauen. Das Risiko spielt(e) sich nicht aus, der Platz vor Perez ist nicht zu halten, also holt man Hamilton rein, um ihn nach hinten besser abzusichern. Man hatte was probiert, es hatte sich nicht gelohnt.
Klar, Hamilton hat sich über Funk aufgeregt, weil er zwei Plätze durch den Stop verlor ... und auch, weil die Strecke mittlerweile so weit abgetrocknet war, dass die neuen Reifen schnell überhitzten und erstmal grainten, bevor sie wieder "sauberer" wurden. Das war bei denen, die gut 10 Runden vorher stoppten, weniger der Fall.
Doch hätte man Hamilton tatsächlich durchfahren lassen (wie Ocon), dann wären seine Reifen am Ende wahrscheinlich ziemlich tot gewesen.
Ocon war viel weniger in Zweikämpfen verwickelt als Hamilton, der viel gepusht hatte.
Nachdem Sainz ihn überholt hatte (Runde 45), hat Ocon innerhalb von 12 Runden ganze 50 Sekunden auf Sainz verloren (!!!).
Ocon konnte glücklich sein, dass Ricciardo - der zu früh drin war - auch mit abbauenden Reifen zu kämpfen hatte und dass Giovinazzi vom Sauber-Team nicht Bescheid gekriegt hatte, dass er seine letzte Runde fährt ... er war nämlich dabei seine Batterie aufzuladen, um in der nächsten Runde anzugreifen.
Sonst wäre Ocon aus den Punkterängen rausgewesen.
Man braucht sich nur mal Ocons rechten Vorderreifen nach dem Rennen anschauen ... dann wird klar, dass das ziemlich kühn war.
Dadurch, dass Hamiltons Rundenzeiten (ebenso wie die von Ocon) etwa ab Runde 46 angestiegen waren und dadurch, dass er nicht weniger gepusht hat ist anzunehmen, dass Hamiltons Reifen am Ende ebenso zerstört ausgesehen hätten.
Bei Alpine hat man gezockt, um nicht nach einem Boxenstop außerhalb der Punkte zu liegen (ein gutes Stück hinter Stroll und Ricciardo). Man wusste zum dem Zeitpunkt ja noch nicht, dass Ricciardo am Ende auch mit den Reifen kämpfen wird (er hatte nach Ocon die ältesten Reifen drauf). So konnte man sehen - während Ocon draußen bleibt - das sein Abstand auf Ricciardo hält (weil jener dann auch zurückfiel). Und das ging sich sehr knapp gegen Giovinazzi und Räikkönen aus.
Bei Mercedes hatte man erkannt, dass der Platz vor Perez nicht zu halten ist. Hätte man noch weiter versucht Hamilton draußen zu lassen, dann wäre er wahrscheinlich auch von Leclerc und Gasly kassiert worden, vielleicht auch von Norris und Sainz.
Jede Runde die man zusätzlich wartete, erhöhte das Risiko, dass Hamilton hinter Gasly zurück fällt.
Das ist
NICHT das Risiko, mit dem man WM wird.
Also nochmal. Mercedes
IST das Risiko eingegangen, zu schauen, wie sich die Rundenzeiten entwickeln und ob man vielleicht ohne Boxenstop vor Perez bleiben kann. Dadurch hoffte man, sich einen Podiums-Platz zu holen, ohne dass man Perez auf der Strecke überholen müsste.
De facto hat man dadurch aber einen vierten Platz verschenkt (was durch den zu späten Leclerc-Boxenstop zustande gekommen wäre ... siehe Perez der so vor Leclerc landete) und einen möglichen dritten Platz verspielt (dadurch, dass man so gegen Perez verlor bzw. Hamilton ihn nicht mehr angreifen konnte).
Also ja ... dieses Risiko
IST schief gegangen.
Mit dem Boxenstop hat man dann letztlich Platz 5 noch gerettet.
Weltmeister wird man nicht nur mit Risiko, sondern auch mit Einsicht.
Man (das Team gemeinsam mit Hamilton) traf die falsche Entscheidung (sonst wäre 3 oder 4 drin gewesen) in dem man eine Zeit lang versuchte zu Zocken ... und akzeptierte schließlich, dass es nicht geklappt hat und der Abstand auf Perez und Leclerc nicht ausreicht.
10 Punkte für Platz 5 sind vielleicht nicht das, was Hamilton sich erhofft hatte ... aber immernoch mehr als 4 Punkte für Platz 8.
Die Situation in Sotschi war eine völlig andere. Da waren es auch nicht RB und Verstappen die ein "Risiko" gingen, draußen zu bleiben. Das waren eher Hamilton und Norris, bis dann klar war, dass sie zwar einen schön großen Abstand nach hinten haben ... aber irgendwann Probleme haben werden, überhaupt auf der Strecke zu bleiben.
Hamilton wollte damals das Risiko gehen draußen zu bleiben ... hat sich dann aber davon überzeugen lassen, dass Verstappen schon in der Box war. Das hat ihm vielleicht den Sieg gebracht.
Verstappen hatte gerade Sainz und Ricciardo kassiert und am Funk war man sich unsicher, ob der Boxenstop schon richtig wäre. Verstappen sagte einfach, er habe das Gefühl er verliere zu viel Zeit.
Er war ja zudem auch gerade hinter Leclerc zurück gefallen, der 3 Piloten überholt hatte und sich anschickte wenig später auch Perez und Alonso zu kassieren. Nungut ... man wollte Leclerc eigentlich reinholen, jedoch stand man schon mit Sainz' Reifen bereit, der kurz vorher ja noch vor Leclerc lag.
Wäre doof, wenn dann der falsche Ferrari zu erst in die Box gerollt kommt.
Dann kam nochmal kurz der Eindruck, der Regen lasse nach und man schaute (wie auch bei anderen Teams), ob die Piloten auf Inters wirklich sooo viel schneller sein. Dadurch kam der Stop bei Alonso und Perez zu spät ... und bei Leclerc sowieso.
Ich glaube es gibt generell keinen Pflichtboxenstop.
Was Pflicht ist, dass wenn das Rennen bei trockenen Bedingungen gestartet wird, dass man dann während des Rennens zwei verschiedene Mischungen eingesetzt haben muss (sofern man die komplette Distanz fährt).
Diese Regel kann man bei einem Start auf Intermediates schlecht verlangen ... sonst wäre Vettel am Ende der einzige gewesen, der zwei verschiedene Mischungen gefahren ist.
Stroll hat letztes Jahr in Monza auch keinen Boxenstop absolviert, aber zwei Mischungen im Rennen eingesetzt.
Da die Zahl der Rennabbrüche überhaubar ist, hält sich die Möglichkeit dann die Reifen zu wechseln in Grenzen. Daher absolviert man nunmal i.d.R. einen Boxenstop, um der Forderung nach verschiedenen Trocken-Mischungen nachzukommen. Eine Pflicht zum Boxenstop ergibt dies jedoch nicht.